Die Qual der Wahl

Morgen ist der große Tag!

Für uns ist es bereits die zweite Wahl, die wir miterleben und folglich war ich nicht mehr ganz so „erstaunt“ hinsichtlich der hier üblichen Wahlwerbestrategien – oder wie man das auch immer nennen mag. Allerdings ging die wilde Plakat-Kleberei in diesem Jahr deutlich später los als mir das von vor 5 Jahren in Erinnerung war, denn bis vor gut einem Monat gab es noch kaum sichtbare Hinweise auf eine anstehende Wahl. Nun ja, das hat sich in den letzten Wochen verändert und es wurden täglich mehr Plakate. Und noch mehr, und noch mehr und mehr. An manchen Stellen sieht man vor lauter Plakaten die Welt nicht mehr. Nach und nach sind auch wieder die ganzen Fahnen und Banner eingezogen, natürlich in den entsprechenden Farben: grün-gelb versus blau-rot-weiß.

In der heißen Wahlkampfphase hat man selbst in Deutschland das Gefühl, von all den großen, grinsenden Gesichtern regelrecht verfolgt zu werden. Und dann wiederholt sich der Anblick auch noch alle 5 Meter! Dennoch ist das alles nichts im Vergleich zu hier. Wirklich große Plakate gibt es zwar insgesamt gesehen verhältnismäßig wenig. Aber die Kleinen sind wirklich überall und in Massen anzutreffen, wie wenn einer seinen Finger dauerhaft auf der Copy-Taste geparkt hätte…

… neues Muster auf Mauern und Eingangstoren, Schutzmantel um Baumstämme, schickes Design für die Umrandung an diversen Kreisverkehren, auf Straßenpfeilern, Fahnen auf Häusern, in selbstgebastelten Laternen über der Straße hängend, auf Ochsenkarren…

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Es gibt meiner Beobachtung nach nichts, was sich nicht als Träger eines – oder unzähliger – Wahlplakate nutzen lässt. Selbst auf Autos findet man sie. Zugleich sieht man interessanter Weise nie jemanden, der Wahlplakate aufhängt, was die Vermutung nährt, dass sie tatsächlich „über Nacht“ kommen. Nasya meinte neulich zu mir: „Wer macht die Plakate denn alle an die Wand? Die kommen irgendwie wie von alleine, denn bei uns gegenüber waren sie an einem Morgen einfach da!“

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Ja, das waren sie (Bild oben). Schön sauber und durchweg das gleiche Grinsen. Joel stelle kürzlich mit leicht irritiertem Unterton fest: „Mama, die schauen mich alle so an! Warum schauen die mich an?“ Ich hab ihm dann erklärt, dass man das bei Wahlplakaten immer so macht.

Außerdem fahren seit Wochen täglich lärmende Autos durch die Gegend. Meistens handelt es sich dabei um kleinere Lastwagen oder Pickups, deren Ladeflächen mit einem Soundsystem ausgestattet sind. Und drum herum ist jeder erdenkliche Platz mit Menschen aufgefüllt, die in der Regel Fahnen oder Banner schwingen und in den entsprechenden Parteifarben gekleidet sind. Josia flippt immer völlig aus, wenn so ein Krach-Auto vorbei fährt. Wir sehen sie zwar nicht, da sie aber unüberhörbar sind, macht das gar nichts aus. Er reist jedes Mal die Augen weit auf, legt sein erstauntes Gesicht auf und gestikuliert wie wild. Manchmal fängt er auch an zu tanzen 🙂 Und schon ist der Krach wieder weg.

Dann gibt es natürlich auch Wahlveranstaltungen. In der Stadt wurde sogar eine riesige Tribüne aufgebaut, da einer der wichtigen Kandidaten vom Festland kam. Das ganze Spektakel wurde dann im Radio und Fernsehen übertragen und der Verkehr rund um den Ort des Geschehens kam völlig zum Erliegen. Wie gut, wenn man zu solchen Zeiten nicht in die Stadt muss!

Auch in den letzten Tagen waren etliche Großveranstaltungen in und um die Stadtgebiete am Laufen. Und diese Autokorsos sind ständig hoch und runter und kreuz und quer unterwegs, das schon seit Monaten, in den letzten Wochen aber massiv und non-stopp. Einmal waren wir ja auch mittendrin

Es sind inzwischen an vielen Stellen Überwachungskameras installiert worden. Außerdem gibt es Grund zur Annahme, dass nächtliche Drohnen unterwegs sind. Ein Bekannter wäre nämlich beinahe verhaftet worden, weil er der nächtlichen Wahlplakatentfernung beschuldigt wurde.

Der Fährverkehr soll am Wahltag eingestellt werden und seit Tagen ist das Militäraufkommen rund um den Hafen unglaublich hoch – aus welchem Grund auch immer. Möglicherweise legen sie auch das komplette Funknetz und Internet lahm. Wir warten ab, was tatsächlich auf uns zu kommt und hoffen weiterhin, dass es nicht so schlimm werden wird, wie manche hier vermuten.

Über unsere Angestellte bekommen wir ein klein wenig Einblick in die Abläufe hier. Schon vor über einem halben Jahr musste sie sich registrieren lassen, um überhaupt zur Wahl gehen zu können. In den letzten Tagen war sie dann erneut bei irgend einer Stelle, um was abzuholen oder eintragen zu lassen. Und heute früh hätte sie eigentlich etwas bekommen sollen. Aber dem war dann nicht so und sie wurde auf morgen vertröstet. Und da ist ja schon Wahltag!

Die hier gängige Methode zur Sicherstellung, dass keiner doppelt zur Wahl geht, ist eine Farbmarkierung auf dem Fingernagel! Wer gewählt hat, wird markiert und muss dann die Wahlstation verlassen. Keiner soll sich länger als nötig in den Wahllokalen und der näheren Umgebung aufhalten. Und da wird auch sehr darauf geschaut.

Das Jahr 2010 ging als friedvollste Wahl Sansibars in die Geschichte ein, was zum größten Teil mit daran lag, dass sich die regierende Partei und die Opposition vorab auf eine „Umoja“ (= Einheit) geeinigt hatten, eine gemeinsame bzw. Einheitsregierung sozusagen. Somit kamen auch die Kandidaten aus der Opposition in den Genuss, deutlich mehr Ministerposten zu füllen. Aber wirklich glücklich waren sie mit diesem Gemeinschaftsprojekt letztendlich doch nicht, denn in der Umsetzung lief manches nicht ganz so gleichberechtigt, wie erwünscht und erhofft. Und so warten wir nun ab, was dieses Jahr mit sich bringen wird…

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