Eine Frage der Ehre

Resignation und Rückzug sind zwar menschlich verständliche Reaktionen, aber sie zeigen keine geistliche Reife. Rückzug führt in unseren Herzen zu Verhärtung und Groll. Und wie schnell kommt es dann dazu, dass wir diese Menschen beginnen zu verachten.

So in etwa stand es in einem Buch, dass ich kürzlich gelesen habe. Und es hat mich betroffen gemacht, denn genau diese Gefühle haben sich in den vergangenen Wochen immer stärker in mir ausgebreitet. Vermehrt in den Fokus geraten und aufgewühlt durch die bevorstehende Reise nach Deutschland. Man denkt über Beziehungen und Freundschaften nach, Begegnungen und Begebenheiten der vergangenen Jahre. Und da gibt es eben auch Verletzungen, entstanden durch erlebte Zurückweisung. Auch wenn es vermutlich oftmals gar keine beabsichtigte Zurückweisung war, sondern einfach nur die Folge davon, dass andere Personen vorgezogen wurden und dann kein Platz mehr für uns war…

Letzlich geht es hier nicht um die Frage, ob man im Recht ist oder nicht, es geht auch nicht darum, ob unsere Empfindungen gerechtfertigt sind. Sie sind da und sie bestimmen unser Denken (oder zumindest meins) und damit leider oft auch unser Handeln. Man tendiert zum Rückzug und verspürt kein Verlangen danach, auf den anderen zuzugehen und aktiv die Gemeinschaft zu suchen. Denn wozu auch? Um erneut verletzt und enttäuscht zu werden? Ich komme doch eventuell auch ganz gut ohne aus…

Und dann kommt wie aus dem Nichts der Spiegel und damit die Erkenntnis, dass nicht nur ich in meinem Leben immer wieder von Menschen enttäuscht worden bin, sondern dass auch ich enttäuscht habe! Leider ist uns dies häufig gar nicht bewusst, denn nicht immer werden solche Dinge offen ausgesprochen und auf den Tisch gebracht. Uns fehlt eventuell das Empathievermögen, oder auch nur die Bereitschaft, eigenem Versagen ins Gesicht zu schauen. Dabei tut dieser Blickwechsel sehr gut, denn er macht deutlich, dass ich genauso auf der „Anklagebank“ sitze und folglich nicht nur Opfer, sondern auch Täter bin. Ich denke, die meisten Verletzungen dieser Art werden unbewusst begangen. Aber ob bewusst oder unbewusst, die Auswirkungen sind vermutlich die selben.

Trotz dieser Erkenntnis nehme ich immer wieder verstärkt diese Rückzugstendenz in mir wahr – und ihr liegen teils auch andere Ursachen zu Grunde. Es kostet nicht nur Zeit, sondern auch Kraft, wenn man Beziehungen aktiv gestalten und nach längerer Begegnungspause richtig anknüpfen möchte… habe ich diese Kraft im Augenblick? Vielleicht bin ich momentan einfach nur zu müde, um mich innerlich so richtig auf all die vielen Menschen und ihr Leben einzulassen?

Folgende Worte habe ich vor Kurzem in einer Predigt gehört und sie haben das zum Ausdruck gebracht, was ich innerlich bereits gespürt habe. Und sie haben mich auch wieder neu motiviert, nicht auf meine Gefühle zu schauen oder mich von der „Müdigkeit“ bestimmen zu lassen, sondern weiterhin aktiv zu sein.

„Wenn ich eine andere Person ehre, dann kann das, was Gott dieser Person gegeben hat, auch zu meinem Herzen fließen und ich kann diesen Segen von dieser Person annehmen. Wenn ich nun in meinem Herzen etwas gegen eine Person habe, dann kann ich den Segen dieser Person nicht empfangen. Ich muss zuerst vergeben  und erst dann ist es wieder möglich, diese Person mit den Augen Gottes anzuschauen und damit beginnen, sie wieder zu ehren. Unsere Gefühle brauchen da manchmal etwas, bis sie mitkommen…“*

* Chris Stumpp, Eine Haltung der Ehre

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