Eine Reise ohne Heimkehr…

Fährunglück 1

Auch wenn die Ereignisse bereits ein paar Tage zurück liegen, so ist es für mich weiterhin unwirklich und unvorstellbar, was sich hier vor der Küste Sansibars am frühen Samstagmorgen ereignet hat. Weltweit war davon in den Nachrichten zu hören, viele Zeitungen haben darüber berichtet, wer googelt, findet etliche Artikel im Netz…. und doch scheint niemand genau zu wissen, was in dieser Nacht wirklich vorgefallen ist und wie viele Menschenleben dieses Unglück tatsächlich gefordert hat.

Seit Tagen überlege ich, was ich darüber schreiben kann, aber hier war ständig viel los, die Kinder hatten auf Grund der dreitägigen Staatstrauer keine Schule, Internet und Strom waren rar.  Man ist vor Ort und dennoch ist es auf seine Weise surreal und weit weg.

Wir selbst sind nie mit dieser Fähre gefahren, kennen sie aber vom sehen. Unsere Teamkollegen, die auf der Nachbarinsel wohnen, kennen das Schiff gut, da sie etliche Male damit unterwegs gewesen sind. Für sie war es die einzige brauchbare Fähre zum Festland und er hatte für die Weiterfahrt am Sonntagmorgen ein Ticket… aber die Spice Islander I hat den Hafen in Wete nicht mehr erreicht.

Ca. 60m lang, ein offizielles Cargo-Schiff, das für 600 Passagiere plus Besatzung zugelassen ist. Häufig ist die Fähre über Nacht unterwegs und da sie wesentlich günstiger ist als die regulären Personenfähren, wird sie vom Großteil der Bevölkerung genutzt.

Die Feierlichkeiten zum Ende des Ramadans waren vorüber und viele wollten zurück zur Nachbarinsel. Eid al-Fitr (Fest zum Ende des Ramadan) ist in gewissem Sinn vergleichbar mit unseren Weihnachtsfeiertagen, da es für die Moslems ein zentrales, großes Familienfest ist, welches man gemeinsam mit der Verwandtschaft über mehrere Tage hinweg feiert.  Wenn irgend möglich, fährt man zu seinen Verwandten und diese Besuche beinhalt hier oftmals die Reise von einer zur anderen Insel.

Dies war die erste Fahrt nach den Festtagen und so war dieses Schiff voller Familien.

Schon Tage davor bekam man kaum noch eine Ticket, aber keiner wollte weitere Tage warten, bis dieses Schiff das nächste Mal seine Runde macht. Meine Schwiegermutter berichtete von einem Mädchen im Teeniealter, dass derzeit in ihrer Nachbarschaft zu Besuch ist und ebenfalls unbedingt mit diesem Schiff zurück zu ihrer Familie wollte. Mehrfache Versuche ein Ticket zu bekommen waren erfolglos.

Überall hat man die Leute sagen „watoto wadogo wengi sana!“ – es waren viele kleine Kinder mit an Bord! Offiziell sind deutlich über 600 Tickets verkauft worden, wir haben sogar gehört, dass es fast 800 gewesen sein sollen, und Kinder bis 12 Jahren fahren ohne Ticket. Wer Afrika kennt, der weiß wie hier gereist wird und das grundsätzlich die Regel gilt: Es ist immer noch Platz für einen mehr… und noch einen… und evt. noch einen. Für die Menschen hier ist es die Normalität in völlig überfüllten Minibussen zu Reisen, mit Kindern auf dem Schoß (eigene oder fremde) und Hühnern zwischen den Beinen oder auf der Pritsche eines LKWs oder eben auch auf überfüllten Fähren.
Außerdem hatte das Schiff viel Cargo geladen, teils auch schwere Sachen wie Reis- und Zementsäcke, ein paar wenige Autos… und unzählige verpackte Matratzen, die sich nach dem Untergang als großer Segen erwiesen haben, da sie zu kleinen „Rettungsbooten“ für viele Passagiere wurden! Denn richtige Rettungsboote und Rettungswesten waren nur sehr begrenzt vorhanden.

Das Schiff hat am Freitagabend den Hafen von Stown Town verlassen und ist dann langsam gen Norden gefahren. Berichte von Überlebenden sagen, dass es gegen Mitternacht erste Probleme mit den Motoren gegeben hat und irgendwann beide Motoren ausgefallen sind. Des weiteren wird berichtet, dass Wasser ins Boot eingedrungen ist – was bis zu einem gewissen Grad durchaus normal ist. Deshalb  haben Boote auch Bilgenpumpen, die genau dieses Wasser wieder aus dem Rumpf des Schiffes pumpen.

Was weiterhin genau vorgefallen ist, bleibt unklar und wer weiß, ob man jemals die genaue Geschichte herausfinden wird. Wir haben noch gehört, dass das Boot zusätzlich in Schieflage gebracht worden sei, weil die Passagiere sich durch die erste Aufregung zu einseitig verteilt haben. Eventuell war die See auch unruhig, was in den Gewässern zwischen den Inseln die Regel ist.
Fakt ist, dass zwischen 12.30 und 1 Uhr früh die ersten Passagiere per Handy ihren Verwandten angerufen und mitgeteilt haben, dass sie gerade auf diesem Boot sind, die Fähre zu sinken beginnt und man bitte für sie beten soll.

Leider konnte das Schiff selbst keinen richtigen Notruf absetzen mit konkreter Lage, kein Leuchtfeuer oder sonstiges, womit man vom Festland aus hätte sehen können, wo sich das Schiff genau befindet. Erste Suchaktionen konnten folglich erst im Morgengrauen gestartet werden.

Das Schiff ist nicht weit weg von Nungwi (Nordspitze) in Seenot geraten und gesunken. Das ganze Dorf war auf den Beinen, viele Fischer haben den ganzen Tag das Meer abgesucht und vor allem die größeren Boote, mit denen die Touristen zum Angeln, Tauchen und Schnorcheln Ausflüge machen, waren im Einsatz. Ein Helikopter hat nach Treibgut mit Überlebenden Ausschau gehalten, da durch die starke Strömung vieles bereits sehr weit nordwestlich getrieben wurde.
Es konnten über 600 Personen gerettet werden.

Vom Kapitän des Schiffes fehlt bisher noch jede Spur. Er sei wohl mit einem der ersten, von den wenigen Rettungsbooten von Bord gegangen.

Offiziell gibt es knapp 200 Tote, überwiegend Frauen und Kinder.

Wenn man sich hier mit Leuten unterhält, dann kennt fast jeder jemanden, der auf diesem Boot war. Viele haben Familienangehörige verloren, wobei die wenigsten davon offiziell identifiziert wurden… sie gelten bis jetzt noch als vermisst.

Bereits am Abend wurden viele noch in Massengräbern beerdigt, da nach islam. Gesetz ein Toter innerhalb von 24 Stunden beerdigt werden muss.

Ha-Dis guter Freund hatte über 20 Verwandte auf dem Schiff. Wir haben von Bekannten gehört, die eine Gruppe von über 35 Personen auf diesem Boot hatten, auf dem Weg zu einer Hochzeit.

Einer von Roxannes letztem Englischkurs ist unter den Toten und einige unserer Angestellten haben ebenfalls ein paar Verwandte verloren.

Auf unserer Schwesterinsel ist das Ausmaß noch um ein Vielfaches größer, da die meisten Leute mit Sicherheit von dort waren. Unsere Freunde haben gehört, dass allein im nächst größeren Ort bei ihnen ungefähr 100 Menschen als vermisst gelten.

Es wurden erste Leichen am Festland gefunden, von Tanga bis hoch nach Mombasa.
Allein wenn man diese Geschichten hört, bekommt man eine kleine Ahnung davon, wie viele Menschen wirklich auf diesem Boot gewesen sein müssen. Wir vermuten, dass es deutlich über 1000 waren.

Dennoch bekommt man von der Trauer nicht allzu viel mit. Es gab die offiziellen drei Tage Staatstrauer,  eine große Trauerzeremonie am Montag (Bilder kommen später) und unzählige kleinere und größere Trauerfeiern im Familien- und Freundeskreis. In der Öffentlichkeit wird in der Regel nicht geweint. Dazu kommt das nach islam. Verständnis davon ausgangen wird, dass alles vorab unumstößlich festgeschrieben ist und somit auch der Tag, an dem du stirbst und wie du stirbst fest steht.

Hier noch ein Bild von der MV Spice Islander I an ihrer Anlegestelle am Strand von Stown Town, aufgenommen im März diesen Jahres.

Fährunglück

Und noch ein Bild, dass unsere Bekannten bei ihrer ersten Fährfahrt auf diesem Schiff gemacht haben – im Ladebereich kann man ihr Auto erkennen… und allein auf diesem Bild sind schon über 100 Leute zu sehen.

spice-islander-1.jpg

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