heimatlos?

Wir haben uns über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder mit der Frage beschäftigt, wann wir als komplette Familie nach Deutschland kommen können. Als fest stand, dass unsere lieben Teammitglieder nach und nach zurück in die Heimat gehen, sah es für uns recht aussichtslos aus. Wenn niemand hier vor Ort ist, können wir nicht einfach für mehrere Wochen gehen. Die Werkstatt ist ein gut laufender Betrieb, der nicht nach Belieben geschlossen bzw. allein gelassen werden kann.

Im Frühjahr kam die Nachricht, dass wir Ende Mai einen neuen FSJler bekommen. Ha-Di ist schon über ein Jahr mit ihm in Kontakt gewesen, aber es hat sehr lange gedauert, bis klar war, dass er kommen kann. Er ist Schweizer und macht hier seinen Ersatzdienst. Plötzlich war wieder der Gedanke da: können wir diesen Sommer eventuell tatsächlich zur Konferenz nach Deutschland fliegen?!

Inzwischen ist David – der Neue – bei uns und er hat sich erstaunlich schnell und gut in die Werkstatt eingearbeitet. Er kennt sich super mit Computern aus und war schon nach kurzer Zeit in der Lage, Rechnungen selbständig auszustellen. Ein ganz wichtiger Punkt! Außerdem kann er laufende Arbeiten überblicken und  andere anleiten. Somit traut Ha-Di es ihm zu, dass er gemeinsam mit unseren zwei einheimischen Werkstattleitern den Betrieb in seiner Abwesenheit führen kann.

In Kürze beginnt bei uns Fastenmonat und wir werden die Werkstatt in diesem Zeitraum für gut zwei Wochen schließen.

Aber das war nicht unser einziges „Problem“. Durch all die Veränderungen in meinem Elternhaus in den vergangenen zweieinhalb Jahren sind wir schlussendlich „heimatlos“ geworden in Deutschland. All die Jahre haben wir immer bei meinen Eltern ein Zuhause gefunden, auch wenn dafür stets ein paar Leute ihre Zimmer räumen mussten und es um den Esstisch herum an manchen Tagen eng werden konnte 🙂

Für unsere Kinder ist dieser Ort über die Jahre hinweg zur zweite Heimat geworden und wir alle haben uns Zuhause gefühlt. Es gab noch genügend Spielzeug und Kinderspiele aus früheren Jahren und vor dem Haus ist Platz zum Spielen und einen Sandkasten vorhanden. Was will Kind mehr!

Durch die Wiederheirat meines Vaters zum einen und den Einzug unseres fast-Schwagers zum anderen sind die Wohnbedingungen in meinem Elternhaus grundlegend umstrukturiert worden. Um für uns alle Platz zu schaffen, hätte vermutlich jemand zeitweise ausziehen müssen.

All dies hat dazu beigetragen, dass der Wunsch, nach Hause zu gehen, ziemlich gedämpft wurde (zumindest bei mir). Haben wir die Energie dazu, über mehrere Wochen hinweg nur aus Koffern zu leben und von einem Platz zum anderen zu ziehen? Denn möglicherweise würde genau das auf uns zukommen, wenn wir gehen…

Viele Gedanken und Gefühle kamen in mir auf und über etliche Wochen hinweg war ich mir selbst nicht sicher, was ich nun wirklich möchte. Eine Entscheidungen zu treffen ist oft nicht leicht, gerade wenn so viele Bereiche davon betroffen sind und vieles so unberechenbar ist. Das fühlt sich dann irgendwie so an, wie wenn man den Schritt ins Wasser wagen muss. Denn so lange man am Ufer steht und auf das Wunder wartet, tut sich vor den Augen einfach nichts.

So kam es letztlich dann auch. Als wir unseren Flug gebucht haben, hatten wir keinen Plan bezüglich unserer Unterkunft und die Frage nach einem Auto stand ebenfalls ungelöst im Raum.

Bei all dem gedanklichen und emotinalen Hin und Her habe ich auch wieder vermehrt gespürt, wie sehr ich meine Mutter vermisse! Sie hat einfach eine zentrale Rolle gespielt (wie die meisten Mütter) im Schaffen, Gestalten und Bewahren unseres Zuhauses. Auch wenn sie sich selbst leider immer wieder im Weg gestanden ist und nicht ganz frei war, ihre tiefe Liebe, die sie für jeden einzelnen in ihrer Familie hatte, uneingeschränkt zu zeigen. Auch wenn das Zusammensein mit ihr phasenweise als anstrengend und herausfordernd erlebt wurde, so gab es dennoch so viele Selbstverständlichkeiten, auf die sich jeder von uns absolut verlassen konnte…

Wo ist nun dieser Heimatort für mich, dieses Zuhause, wo ich mir den Luxus einer Pause gönnen kann, wo ich nicht ununterbrochen diejenige sein muss, die den Alltag zusammen hält, die versorgt, die mitdenkt, plant und „bemuttert“? Ich spüre diese starke Sehnsucht in mir, im anspruchsvollen Alltag einfach zwischendurch mal nach Hause kommen zu dürfen. Gerade wir Mütter erlebe Zeiten, wo wir uns nach einer Mutter sehnt.

Durch unsere eigenen Erfahrungen sind wir inzwischen reicher an Einsicht und folglich fähiger, unsere Mutter, ihr Leben, ihr Schaffen und Mühen in neuer und viel tieferer Weise zu verstehen und dadurch auch mit dankbarem Herzen ganz neu wertschätzen zu lernen. Für mich ist es ein Erkennen in vielen kleinen Schritten, denn selten erschließt sich solch ein komplexes Bild auf einen Blick.

Die Zeit enthüllt die Geheimnisse und das Leben ist der Lehrmeister…

Diese „Reise“ hat durch den Tod meiner Mutter kein jähes Ende gefunden, sondern mir eine weitere Dimension erschlossen und zusätzlich leider auch eine besondere Art von Schmerz mit sich gebracht: die schmerzhafte Realität, dass ich auf Erden keine Chance mehr habe, mit meiner Mutter zu reden. Ich kann ihr all die Fragen nicht mehr stellen, die mir auf der Suche nach meinen Wurzeln und meinem Erbe begegnen. Ich kann mein Verständnis über ihr Wesen, ihre persönliche Art und ihre gewählte Lebensführung nicht weiter ausbauen (oder nur erschwert und unvollständig über Drittpersonen)… dabei ist dies alles auch ein Teil von mir, bekannt oder unbekannt ändert nichts an dieser Tatsache.

Selbst wenn wir das Vorrecht genießen, unsere Mutter noch bei uns zu haben, heißt das nicht, dass wir ganz selbstverständlich Gespräche dieser Art mit ihr führen können. Solche Gespräche ergeben sich nicht von allein, da es in der Regel nicht leicht ist, über Vergangenes zu reden und sich zu öffnen.Wer weiß, ob ich es tatsächlich gekonnt hätte; ob sie dafür offen gewesen wäre? Wer weiß, ob ich es eines Tages mit meinen Kindern kann?! Ich weiß nur, dass ich es mir wünsche und ich bin mir sicher, dass ein großer Segen darauf liegt und das es sich lohnt, diesen Schritt zu wagen.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.