Lebenskreise

Auch in diesem Jahr gab es unzählige Momente, in denen ich meine Mutter schmerzhaft vermisst habe. Ja, es tut weh… immer noch… auch nach 4 Jahren!!!

Und ich muss gestehen, dass der Schmerz selbst nicht unbedingt weniger wird, nur die Zeiten, in denen er sich bemerkbar macht.

Das Leben geht weiter und ich habe mich bis zu einem gewissen Maß daran gewöhnt, dass meine Mama kein aktiver Teil mehr davon ist. Und dennoch holt mich dieses Verlustgefühl immer wieder ein, manchmal ganz unerwartet und plötzlich.

Dann ist er da, der Schmerz;

teilweise begleitet von Tränen,

ein bedrückendes, beklemmendes Gefühl

gepaart mit Hilflosigkeit.

Denn schließlich ist die Situation für mich unabänderlich und keiner kann die Zeit zurück drehen. a-mama-und-ich.jpg

Das Älterwerden beinhaltet, dass wir selbst kontinuierlich in neue Lebensabschnitte eintreten. Neuland für uns, teils beängstigend, befremdend und oft auch überwältigend; zugleich aber auch sehr spannend. In jeder neuen Phase lernen wir uns selbst anders und tiefer kennen; zumindest besteht die Möglichkeit dazu und ich selbst habe es oft genau so bei mir erlebt.

Außerdem beobachte ich, dass sich dadurch oftmals eine neue Sichtweise auftut – wie wenn man bei einer Bergtour auf der nächste Hochebene angekommen ist und beim Blick zurück ins Tal plötzlich die wunderbare Aussicht und Schönheit erkennt. Vieles sieht von dort oben ganz anders aus… Und so können auch meine Mitmenschen, Lebensumstände, Beziehungen und Dinge in einem neuen Sichtwinkel betrachtet und bewertet werden, wenn wir selbst weitergehen, höher hinauf…

Das Älterwerden ist folglich nicht einfach nur ein unumgängliches Übel, dem sich keiner von uns entziehen kann, sondern es erweist sich als wunderbare Chance zum Reifer und Echter werden.

Unsere Kinder sind  nicht nur ein Spiegel für uns, sondern durch sie werden wir auf den Weg geschickt, auf dem unsere Eltern mit uns vor vielen Jahren unterwegs waren. Und plötzlich sind sie uns eventuell näher, als wir es uns hätten jemals vorstellen können…

Hier bietet sich die Gelegenheit, gewisse Dinge, Erlebnisse und Verhaltensweisen, die man lange Zeit absolut nicht verstehen konnte, von einem neuen Blickwinkel und mit tieferem Erfahrungshintergrund zu betrachten und dann vielleicht sogar das Wunder zu erleben, dass es nachvollziehbar und schlüssig wird. Nicht umsonst heißt es, dass man kein Urteil über jemanden fällen sollte, bevor man nicht selbst eine zeitlang in dessen Schuhen unterwegs gewesen ist.

Unsere Lebensumstände und die Zeit, in der wir leben, decken sich natürlich nicht mit denen unserer Eltern. Deshalb werden wir auch nie den Punkt erreichen, wo wir sozusagen zu 100% in „ihren Schuhe laufen“. Und mit Sicherheit entscheiden wir uns auch ganz bewusst dafür in einzelnen Bereichen einen anderen Weg einzuschlagen – es sozusagen „besser“ zu machen 🙂 Aber trotz aller neuen Wege mag es doch manche Kleinigkeit, manch gute Tradition und Gewohnheit geben, die wir dankbar übernehmen (bewusst oder unbewusst) und als Erbe in unserer Familie hineintragen.

Im vergangenen Jahr hatte ich immer wieder Augenblicke, in denen ich mich einfach so sehr danach gesehnt habe, meine Mutter um mich zu haben, um mit ihr reden zu können. Mein Alltag bringt seine Herausforderungen; wir alle kennen das und man versucht stets, einen guten Weg zu finden. Ich habe dabei oft gemerkt, wie gewisse Erlebnisse und Umstände Fragen in mir aufwerfen. Da würde ich einfach gerne wissen, ob ich als Kind denn genauso war, wie meine Mutter mich erlebt hat und wie sie damit umgegangen ist. An manche Dinge kann ich mich natürlich noch gut erinnern – eventuell sogar noch viel besser, als meine Mutter es könnte. Aber jede Erinnerung ist subjektiv, genau wie meine Wahrnehmung bestimmter Ereignisse und Vorfälle. Und mir fehlt nun der Gegenpol, die zweite subjektive Wahrnehmung, die dazu beitragen könnte, die Angelegenheit in ein objektiveres Licht zu rücken.

So manche Frage würde ich meiner Mutter gerne stellen und hören, was sie darüber zu berichten hat. Ich spüre immer wieder diesen Hunger in mir, mehr darüber zu erfahren, wie sie verschiedene Alltagssituationen und Herausforderung erlebt hat, und einfach die Chanche zu bekommen, auf ihren Erlebnis- und Erfahrungsschatz zurückgreifen zu können.

aber

SIE IST NICHT MEHR DA

meine Fragen verlaufen sich in der Leere

bleiben unausgesprochen in meinem Kopf

lassen mich stattdessen den Verlust schmecken

und mein Verlangen nach Beziehung bleibt an diesem Punkt ungestillt

 

Es ist so ein großer Schatz, wenn man seine Eltern noch um sich hat, wenn man selbst die Stufen der Elternschaft empor steigt. Wir können noch so viel über sie und von ihnen lernen!

Und zugleich bekommen wir die einmalige Chance, unseren Eltern in neuer und tieferer Weise Dankbarkeit und Wertschätzung entgegen zu bringen für all das, was sie für uns getan und in uns investiert haben.

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