Viertel vor drei

Stolze 88cm und etwas über 12kg waren die Maße, die wir beim letzten Kinderarztbesuch in Deutschland bekommen haben. Messen mussten wir allerdings mehrfach, da Josia einfach nicht ruhig liegen bleiben wollte. Ja, er ist und bleibt ein kleiner Wirbelwind.

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Mama, Papa und Nei scheinen es nun endlich dauerhaft in sein Sprach-Repertoire geschafft zu haben. Bereits vor fast einem Jahr hatten genau diese drei Wörter schon ein kurzes Gastspiel, aber dann „vergaß“ Josia sie wohl wieder und es kam lange Zeit nichts mehr :-0

Sein Sprachverständnis ist gut und wenn man ihm etwas sagt, dann reagiert er entsprechend darauf. Er holt z.B. seine Schuhe wenn ich davon rede, dass wir nun fort gehen. Oder er kommt mit mir in die Küche, wenn ich ihm erzähle, dass es jetzt Joghurt für ihn gibt. Er sagt Nei und schüttelt den Kopf, wenn ich ihm erkläre, dass wir nun ins Bett gehen, um Mittagschlaf zu machen und vieles mehr.

Mit Kindern auf gleicher Augenhöhe war er leider noch nie groß Freund. Schubsen, zwicken und Haare ziehen sind deshalb bei Begegnungen dieser Art keine Seltenheit und meist kommt es dazu noch ganz plötzlich, wie der hinterhältige Angriff einer Schlange. Ich hab keine Ahnung, warum Josia sich so verhält, denn ich kann nicht behaupten, dass er diese Umgangsformen irgendwo abgeschaut hätte oder spiegeln würde. Beides ist nicht der Fall und dennoch scheint es für ihn selbstverständlich zu sein.

Als wir in Deutschland waren, habe ich die Gelegenheit genutzt und an einem Vormittag am Frauenfrühstück unserer Gemeinde teilgenommen. Aber Josia hat mit seinem Verhalten dazu beigetragen, dass es für mich alles andere als nett und entspannend war. Die meiste Zeit war er auf „Kinderjagd“ – ja, ich denke, dieser Begriff beschreibt sein Verhalten relativ zutreffen. Er ist hinter den Kleinen hergerannt – das war ja noch ganz nett -, aber sobald er sie dann eingeholt hatte, wusste ich nie, was als nächstes kommen würde. Ein freundliches Lächeln und sanftes am Arm oder Kopf streicheln, oder eine wilde Umarmung, die beim Gegenüber meist Verwirrung und nicht selten lautes Geschrei ausgelöst hat. Ganz krass fand ich dann seine „ich werfe uns gemeinsam um“-Taktik, denn diese war völlig neu für mich. Sich dem anderen Kind an den Hals werfen und dann mit vollem Körpereinsatz zur Seite drehen, so dass beide Kinder umfallen 😮

Wenn Josia also nicht gerade mal friedlich auf dem Boden saß und gespielt hat (kam vor, aber äußerst selten), war ich stets auf seinen Fersen, um Übergriffe jeglicher Art möglichst im Keim zu ersticken. Sein Benehmen hat in mir ein sehr unangenehmes Gefühl hervorgerufen. Natürlich war es mir peinlich, aber zugleich war da auch eine Art von Hilflosigkeit gemischt mit Unwohlsein. Man schämt sich in gewisser Weise für das ungehobelte Verhalten des eigenen Kindes. Zugleich versucht man konstant entgegen zu wirken und dem Kind mit deutlichen Worten und Gesten klar zu machen, dass es das nicht tun darf. Aber wie bei so vielen anderen Dingen, z.B. das Werfen von Flaschen, Essen und sonstigen Gegenständen, scheint Josia in keinster Weise von meinen Bemühungen und versuchten Erziehungsmaßnahmen angesprochen zu sein. Gibt es so etwas wie „Erziehungs-Resistenz“?

Er spürt sehr wohl, wenn etwas nicht richtig gelaufen ist. Manchmal verzieht er dann z.B. sein Gesicht und schaut ganz geknickt und traurig. Aber ganz gleich, wie stark seine Rückmeldung in solch einem Moment auch sein mag, es hat ihn bisher nicht davon abgehalten, diese Dinge daraufhin endgültig sein zu lassen.

Josia ist nicht unser erstes Kind, aber ich habe bisher noch nie solch eine starke Hilf- und Ratlosigkeit empfunden, wie das bei ihm der Fall ist. Natürlich haben auch die Großen oft genug Dinge gemacht, die nicht ok waren. Alle Kinder machen das und alle Kinder müssen Stück für Stück lernen, wie angemessenes Verhalten – vor allem im Umgang mit anderen – aussieht und welche Dinge nicht ok sind. Dieser Lernprozess dauert seine individuelle Zeit. Und wenn man dann tatsächlich irgendwann eine Veränderung beim Kind sieht, ist das stets ein Grund zur Freude und Dankbarkeit.

Mit Josia ist das alles aber irgendwie anders. Da sind so viele Dinge, wo sich scheinbar absolut gar nichts verändert. Es gibt zwar Phasen, in denen es dann besser ist und man die leise Hoffnung hegt, das sich nun wirklich was tut. Aber die sind bisher nur von kurzer Dauer, bevor wieder  jeder Hoffnungsfunke im Keim erstickt wird und alles so ist, wie es war…

Wenn ich ihn beim Spielen mit Kindern im ähnlichen Alter beobachte, kann ich mich inzwischen nicht mehr entspannt zurück lehnen. Ich bleibe meist in der unmittelbaren Nähe, so dass ich falls nötig schnell eingreifen und Schlimmeres verhindern kann. Und hier ist es sehr von Nachteil, dass Josia so schnell ist.

Ich weiß wie gesagt nicht, warum er das macht und woher er das hat. Es gibt für mich auch keine logische Erklärung dafür. Es ist nichts, was er selbst erfährt oder sieht und anschließend spiegelt. Und es macht mich traurig, weil er sich mit diesem Verhalten alles andere als beliebt macht und nur dazu beiträgt, dass die Kinder den Kontakt mit ihm meiden.

Zugleich ist es demütigend für mich – was vielleicht der einzig positive Effekt bei der ganzen Angelegenheit sein mag. Denn irgendwie fällt sein Verhalten ja automatisch auf mich als Mutter bzw. uns als Eltern/Familie zurück. Wir sind es, die mit ihm tagtäglich zusammen sind und von denen er sozusagen sein Verhalten lernt…

Wenn man also ein auffälliges Benehmen bei Kindern beobachtet, zieht dies sehr schnell den Gedanken nach sich: Was läuft im Umfeld dieses Kindes falsch, das es ein solches Verhalten an den Tag legt? Wenn ich ehrlich bin, habe ich selbst schon oft genug so gedacht; das kommt irgendwie ganz automatisch. Und wenn dieser Gedanke in uns aufkeimt, sprießt direkt daneben fast wie von selbst das Urteilen hervor.

Eigentlich ist es traurig, dass wir bei vielen Dingen unser Denken erst dann überdenken und ändern, wenn wir uns selbst in einer Situation vorfinden, wovon wir nicht gedacht hätten, sie könnte uns erreichen… Plötzlich bekommen bestimmte Dinge ein anderes Licht und eine neue, tiefere Dimension. Und ich spüre, wie mich diese – durchaus unangenehme – Erfahrung vor allem eins lehrt: gnädiger zu sein mit meiner eigenen sowie der Unvollkommenheit anderer.

Ich muss nicht perfekt sein und mein Sohn eben auch nicht!

Nun aber wieder zurück zu Josia und seinem Alltag.

Immer wieder versucht er sich auszuziehen, und je nach Kleidungsstück gelingt ihm das sogar. Oben rum weniger, aber unten rum dafür umso besser. Selbst vor der Windel macht er nicht halt. Es kam also schon einige Male vor, dass er plötzlich ohne Windel unterwegs war und sich direkt noch erleichtert hat. Aufs Klo oder Töpfchen will er allerdings partout nicht sitzen! Aber er zeigt oftmals mit einer deutlichen Handbewegung, wenn er die Windel voll hat.

Natürlich gibt es nicht nur die anstrengenden und herausfordernden Momente. Josia zeigt auch gewisse Verhaltensweisen, die in besonderer Weise wertvoll und rührend sind. So verabschiedet er sich z.B. fast jedes Mal, wenn er aus seinem Hochstuhl gehoben wird: Schwungvolles Winken, ein verschmitztes Grinsen und manchmal auch noch untermalt von irgendwelchem Gemurmel. Sehr häufig blickt er dann jeden einzeln und ganz direkt an und wenn man daraufhin den Gruß erwidert wird sein Grinsen noch breiter.

Er umarmt unglaublich gerne und kann sehr liebevoll sein, wenn jemand traurig ist oder sich wehgetan hat. Er verschenkt Küsse, als gäbe es kein nächstes Mal. Er nimmt das Gesicht seines Gegenübers in beide Hände und dreht es so, dass man ihn direkt anschauen muss – nicht immer auf die ganz sanfte Weise. Er streichelt einem den Rücken und liebt es, seinen Schwestern die Haare zu bürsten.

Es gibt wenige Beschäftigungen, denen er so ausdauernd und gewissenhaft nachgeht, wie dem Putzen bzw sonstigen Haushaltstätigkeiten. Und er macht es wirklich immer besser, selbst wenn es bezüglich des Wischens in der Regel Trockenübungen sind, die er durchführt. 🙂 Wenn er essen will, deckt er den Tisch – wenn möglich, mit allen Tellern, die er im Schrank finden kann.

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Wäschemachen ist ebenfalls total sein Ding – manchmal auch ohne, dass ich davon was mitbekomme. In solchen Momenten finde ich ihn auf dem Balkon, wo in der Regel die Wäsche zum Trocknen hängt. Und da sich die Leine in der für ihn perfekten Höhe befindet, kann er ohne großen Aufwand die Klammern abziehen und die Wäsche auf den leider meist staubigen Boden werfen. Folglich wandern die davon betroffenen Wäschestücke nicht in den Schrank sondern erneut in den Wäschekorb.

Und genau den liebt er auch. Da ein Großteil seiner Geschwister nicht ganz so zielgerichtet ist, liegen am Abend immer genügend Kleidungsstücke auf und um den Korb herum, die er dann in liebevoller Kleinstarbeit in den Korb stopft.

Wir stopfen die Waschmaschine gemeinsam und später hilft er dann beim Entleeren und anschließenden Sortieren und Ausschütteln. Letzteres mache ich vor allem dann, wenn ich nicht direkt zum Aufhängen komme – um die Knitterei zu minimieren. Beim Aufhängen ist seine Mithilfe grundsätzlich nicht erwünscht, da er schneller abhängt als ich aufhängen kann.

Josia verbringt weiterhin sehr viel Zeit draußen – Afrika macht´s möglich! Während wir morgens mit dem Unterricht beschäftigt sind sitzt er vor unserem Tor und beobachtet das Treiben auf der Straße oder er verweilt auf der Veranda vor unserer Eingangstüre und spielt mit Autos, Duplosteinen, Stöckchen oder was man sonst so draußen finden kann. Gewissenhaft hilft er unserem Gärtner bei der Laubbeseitigung – und davon gibt es hier gefühlt das ganze Jahr über massenhaft. Zurzeit vergeht auch selten mal ein Tag ohne Rauchangriff, ausgelöst von irgendeinem Feuer in der näheren Umgebung. Ich hasse es – und meine Kinder stöhnen auch jedes Mal. Aber irgendwie muss man diese Laubmassen ja los werden und hierzulande ist das nun mal die gängigste Methode.

Dann wird geschaukelt, geklettert, gehüpft und manchmal auch mit der Seilbahn gefahren. Die liebt er besonders, was mit Sicherheit daran liegt, dass er nicht so oft in den Genuss davon kommt. Es ist nämlich relativ anstrengend, ihn an das Teil zu hängen und so zu halten dass er doch ein bisschen das Gefühl der Fahrfreiheit erleben kann zugleich aber nicht alles Eigengewicht durchweg selbst halten zu müssen. Er liebt es auch, sich dann einfach in die Armen, die ihn halten, fallen zu lassen.

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Strand und Meer versetzt in jedes Mal in große Verzückung. Er muss das Meer noch nicht einmal sehen, aber wenn er erkennt, dass es an den Strand geht, dann flippt er fast aus und ist kaum noch zu halten. Inzwischen ist er zum Glück etwas vorsichtiger geworden und rennt nicht mehr total unbedacht ins Meer hinein. Und er kann auch sehr ausdauernd am Strand direkt am Meer spielen, ohne dass man ihn ständig aus dem Wasser ziehen und vor dem Ertrinken retten muss. Eimer und Schaufel in die Hand und er zieht los und spielt…

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Streichhölzer sollten wir künftig außerhalb seiner Reichweite verwahren, denn er weiß ganz genau, wie man das macht. Bisher hat er bei seinen Versuchen noch kein Holz entzündet bekommen… aber soweit sollte es auch besser gar nicht erst kommen! Ja, er beobachtet und kopiert – und das immer wieder überraschend gut.

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Damit er nicht ständig am Wasserhahn im Esszimmer rumspielt, haben wir den kleinen Schemel, der dort schon seit ewiger Zeit steht, entfernt. Allerdings hat es nur kurz gedauert und er hat einen neuen Weg zum Wasser gefunden. Nun schiebt er sich einfach den Stuhl ran und schon kann man wieder ganz problemlos die Hände waschen. Er liebt es. Auf diesem Bild sieht man auch sehr deutlich die immer noch vorhandene Zahnlücke rechts und links von den unteren Einsern. Als ich beim Zahnarzt war, habe ich mal kurz angefragt, ob es evt. sein könnte, dass diese Zähne fehlen. Er meinte nur, dass könne man so nicht sagen. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, könnten wir nichts daran ändern. Mal sehn, ob da noch was kommen wird…

Es war für ihn das erste Mal, dass er die Vorzüge eines deutschen Spielplatzes bewusst und eigenständig auskundschaften konnte. Und das hat er auch voller Tatendrang getan. Klettern, Rutschen, Schaukeln… und möglichst alles alleine, was natürlich nur bedingt möglich war. Denn für einige Dinge ist er eben doch noch zu klein.

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Und hier hat er sofort die Chance zum Versteck-Spiel erkannt und sich gekonnt im Spint verschwinden lassen.

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Malen zählt noch immer zu seinen Lieblingsbeschäftigungen – bevorzugt natürlich mit Wasserfarben. Wenn man mit der Buntstiftbox ankommt, dann kann er manchmal ganz schön abweisend sein. Aber zeitweise begnügt er sich dann auch damit. Vor kurzem hat er allerdings mehrfach aus dem Becher mit dem Mal-Wasser getrunken oder ihn schwupps übers komplette Bild geleert. Beides nicht gerade das, was wir uns wünschen. Dagegen war das Zunge-Anmalen ja noch harmlos…

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Bücher stehen bei Josia schon immer hoch im Kurs. Seit einiger Zeit hat er nun den Tiptoi für sich entdeckt. Anfangs war er weder zielgerichtet noch aufnahmebereit, denn er hat einfach wild mit dem Stift auf dem Buch rumgedrückt. Nach und nach wird es nun aber besser. Unsere Tiptoi-Bücherauswahl ist nicht all zu groß, aber für Josia muss es eigentlich nur das eine sein; und zwar der große Weltatlas. Er weiß inzwischen ganz genau, wo er seine bevorzugten Geräusche oder Lieder finden kann. Und so hören wir nun ununterbrochen den Schlangenbeschwörer mit seiner Flöte dudeln, pulsierende Karnevalsmusik aus Rio oder die Frau mit ihrem „Wer möchte Bananen? Bananen zu verschenken!“

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Auf den folgenden Bilder versucht er sich an einem Stückchen Limette – SAUER…

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Als es im Weihnachtsgottesdienst Rosen gab, hat er damit ein kleines Konzert veranstaltet. Er war wirklich unermüdlich mit dieser Rose am Gange…

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Und zum Abschluss dieses langen Eintrags gibt es natürlich noch ein Video – bunt gemischt mit Aufnahmen der vergangenen drei Monate; teils auch aus Deutschland. Nicht wundern, aber die letzte Sequenz ist leider liegend, da Handy-Aufnahme. Aber ich fand sie viel zu süß, um es nicht zu zeigen…

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