Entscheidungsmuffel und Flugverwirrung

Schon seit Monaten schwebt sie über uns, die große Frage: Wo soll unser Baby zur Welt kommen? Und je dicker ich werde desto unausweichlicher und dringlicher bedarf es einer Antwort! Aber alles überlegen, abwägen und abklären von weiteren Fragen rund ums Thema Geburt hat uns bisher zu keinem vollen Ja für eine der möglichen Alternativen geführt. Es ist einfach ein sehr komplexes Thema mit etlichen Variablen, die sich vorab nur schwer bis überhaupt nicht bestimmen lassen. Eine Geburt entzieht sich generell jeglichen Planungsversuchen, denn man kann weder Tag noch Stunde vorhersagen, noch etwas über die Dauer und den Verlauf der Entbindung oder über den Zustand von Kind und Mutter während dessen und danach. Obwohl wir inzwischen auf einen gewissen Erfahrungsschatz zurückgreifen können (drei deutsche und eine tansanische Geburt), hilft uns das unterm Strich gesehen leider nicht weiter, denn es ist eben doch jedes Mal aufs Neue ein einzigartiges Erlebnis!

 

Vor ein paar Tagen haben wir mit den Kindern ein wenig über die verschiedenen Optionen geredet und dabei auch die möglicherweise bevorstehende Reise nach Deutschland erwähnt. Es gab viele Fragen und zwischendurch auch einige Tränen. Vor allem Nasya hat ihre Zweifel darüber geäußert, wie anstrengend und chaotisch das Leben hier ohne Mama sein würde. Wer denkt dann an all die Dinge, die sie an den jeweiligen Tagen für die Schule mitnehmen muss? Sport, Schwimmen, Capoeira… sie war ziemlich aufgewühlt bei dem Gedanken, dass sie das während dieser Zeit eventuell selbst koordinieren muss.

Wie soll Ostern ohne Mama ablaufen? Wer kümmert sich um die Geschenke? Bekommen wir  dann überhaupt Süßigkeiten und wer färbt mit uns Ostereier???

Wir konnten sie immerhin ein wenig beruhigen, trösten und ihr vor allem etwas von dem Druck nehmen, den sie augenblicklich und unausweichlich verspürt hat bei dem Gedanken „Mama ist nicht da“ und all die Dinge, die Mama sonst macht, fallen automatisch aus oder müssen von ihr übernommen werden.

Romy war nicht all zu besorgt hinsichtlich der vielen Alltagsfragen. Ihr Hauptaugenmerk lag ausschließlich auf dem Wohl des Babys und sie  hat klar bekundet, dass sie deshalb auch ihre Mama über längere Zeit entbehren könnte, wenn das für das Baby und für die Mama besser sein sollte. Traurig war sie allerdings in Hinblick auf die Tatsache, dass sie dann noch ein paar zusätzliche Wochen warten muss, bevor sie ihr neues Geschwisterchen persönlich kennenlernen und in den Arm nehmen kann.

Annelie war sichtlich hin- und hergerissen. Sie würde mich vermutlich auf der Reise begleiten, damit Ha-Di nicht alle Kinder für so lange Zeit alleine versorgen muss. Einerseits war sie von dieser Idee sehr angetan und voller Vorfreude, aber gleichzeitig kam auch deutlich ihre Unsicherheit zum Vorschein, denn sie würde dadurch das Leben mit ihren Geschwistern, die Schule, Zeit mit ihren Freunde usw. verpassen. Das fand sie natürlich sehr traurig. Und man konnte ihr ansehen, dass sie schwer überlegen musste, ob es nun besser ist, mit Mama nach Deutschland zu fliegen, oder zuhause bei ihrer Familie zu bleiben.

Für Joel war die ganze Situation nicht wirklich greifbar; wobei er die Auswirkungen vermutlich am meisten spüren würde. Schließlich kennt er es nicht anders, als das Mama da ist! Und er verbringt unter der Woche auch die meiste Zeit mit mir.

Ich selbst kann nicht sagen, welche Variante ich bevorzuge. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die medizinische Versorung für das Kind und mich in Deutschland am besten ist und dass ich mich sogesehen dort auch am sichersten fühlen würde. Selbst die Ärztin in Dar hat klar gesagt, dass eine Entbindung hier in Afrika mit mehr Risiken verbunden ist, als in Deutschland, weil die Sicherheitsstandards ganz anders sind und weil eben viele zusätzliche Faktoren mit hineinspielen. Auch wenn wir frühzeitig genug in Dar es Salaam sein sollten, so weiß man nie, wie schnell und sicher man von seiner Unterkunft zur Entbindungsklinik kommt. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Papiertüte, die wir damals von der Ärztin als sogenanntes „Erste-Hilfe-Kit“ in die Hand gedrückt bekommen haben, mit dem Hinweis, dass alle wesentlichen Untensilien, die man bei einer Geburt braucht, darin enthalten sind (für den Fall, dass wir es nicht mehr rechtzeitig bis zur Klinik schaffen sollten, und das Kind im Auto kommt). Unvorstellbar!

Ich bin sehr dankbar, dass es mir überwiegend gut geht und ich bisher in der Lage bin, meinen Alltag normal zu meistern. Klar, vieles läuft momentan deutlich gemütlicher als sonst, weil ich das zusätzliche Gewicht und vor allem den dicken Bauch deutlich spüre und – ganz wesentlicher Punkt! – weil die Hitze mich schlichtweg ausbremst. Mein Körper ist so sehr mit schwitzen beschäftigt, dass ich automatisch mein Arbeitstempo verlangsamen muss… auch wenn diese Maßnahme nicht all zu viel zu verändern scheint 🙂

Ich bin dankbar, dass ich nachts meistens gut schlafen kann. Glücklicherweise konnte Ha-Di unsere Klimaanlage im Schlafzimmer nach dem dritten Anlauf wieder zum Laufen bringen – und das wirkt sich unmittelbar auf die Schlafqualität aus!

Vieles an Deutschland scheint sehr verlockend. Schon allein die Tatsache, dass ich dort garantiert nicht schwitzen muss (da spart der Körper viel Energie ein!) und dass ich in übervollen Supermärkten kaufen kann, worauf ich Lust habe (vielleicht steigt dann endlich die Gewichtsanzeige auf der Waage an).

Aber noch bevor der Traum vom kalten, bequemen Deutschland richtig von mir Besitz ergreifen kann, tut  sich vor mir dieses tiefe, schwarze Loch auf, wo ich weder den Boden sehen noch das genau Ausmaß erfassen kann; es ist einfach nur groß, schwarz und erdrückend! Diese Unsicherheit darüber, wie lange ich von Ha-Di und den Kindern getrennt sein würde, weit weg von ihrem Alltag und ihrem Leben hier. Das Wissen darum, dass der Fluss des Lebens sowohl bei mir als auch bei meinen Lieben hier weiter gehen wird, aber wir nur begrenzt Anteil daran haben können. Klar gibt es email, Skype und Telefon. Wir können schreiben und uns über Computer sehen – ein Hoch auf die heutige Technik! Aber Leben ist so viel mehr als das und kann auch mit diesen Hilfsmitteln nur äußerst begrenzt eingefangen und weiter gegeben werden.

Natürlich befinde ich mich nicht in der Fremde, ich wäre nicht alleine und mit Sicherheit auch nicht von Langeweile bedroht (das ist mir zumindest bisher noch nie bei einem Besuch in Deutschland passiert).  Ich würde in meinem Elternhaus wohnen, wäre in der Nähe von Vater, Geschwistern, Verwandten und Freunden. Ich hätte die Chance, mich mit Leuten zu treffen, ausgiebig zu telefonieren und die Gemeinschaft mit wertvollen Menschen zu genießen, die eben auch Teil meines Lebens und mir wichtig sind…

Tja, und dann ist da noch die Geburt ansich und damit verbunden eine weitere, sehr wichtige und zentrale Frage: Kann ich unser Kind ganz ohne die Anwesenheit von seinen Papa auf die Welt bringen???

Schon der Gedanke daran erfüllt mich mit großem Unbehagen und ich will ehrlich gesagt gar nicht richtig darüber nachdenken!

Er war bei jeder Geburt dabei und er gehört schließlich dazu, denn es ist UNSER Kind! Es ist jedesmal aufs Neue ein einzigartiges, faszinierendes Wunder, und in diesen bedeutenden, entscheidenden Momenten will ich ehrlich gesagt nicht auf seine Gegenwart verzichten müssen.

Ich bin sehr dankbar, dass er mich bisher immer so liebevoll unterstützt, begleitet und ermutigt hat. Wir durften gemeinsam unser neugeborenes Kind in den Arm schließen und in dieser Welt und in unserer Familie willkommen heißen. Was für ein Geschenk, was für ein Vorrecht!

In unserer Gastkultur sind Geburten reine Frauensache und deshalb haben Männer in den Krankenhäusern auch keinen Zutritt zum Kreissaal.

In unserer Gastkultur ist es normal, dass die Frau zu ihren Eltern (manchmal auch zu den Schwiegereltern) geht während dieser Zeit; teils auch schon vor der Geburt (vor allem dann, wenn die Familie weiter entfernt wohnt). Dort bleibt sie, bis die Zeit des Wochenbetts vorbei ist, damit sie genügend Ruhe von ihren Alltagspflichten hat und sich nach der Geburt erholen kann.

Hier die gängige Norm; für mich fühlt es sich absolut befremdend an! Es entspricht eben nicht meinem kulturellen Hintergrund, meiner Erfahrung und meiner Prägung.

Wir hatten trotz anhaltender Ungewissheit tatsächlich einen Flug gebucht.  Es war ein Angebot, nur wenige Tage buchbar; Samstagabend letzte Chance. Also haben wir uns Schritt für Schritt durchs Internet gearbeitet und dann war es getan. All zu gut hab ich in der Nacht nicht geschlafen… aber man muss sich auch erst mal an eine Entscheidung gewöhnen.

Am Sonntagmorgen habe ich dann beim Prüfen der zugemailten Unterlagen mit Schrecken festgestellt, dass wir versehentlich für März und nicht wie geplant für Februar gebucht hatten! Dieser 28-Tagemonat, der uns im März die gleichen Daten beschert! Und da die Fluggesellschaft nur einmal pro Woche von hier fliegt, gibt es ja gar nicht so viele Auswahlmöglichkeiten.

Wir haben direkt angerufen und nach kurzem Abwägen den Flug storniert. Für unser gewünschtes Datum im Februar ist der Flug leider schon voll. Und noch ein oder zwei Wochen früher fliegen, wäre mir einfach zu früh und zu schnell gewesen – außerdem wäre es auch wesentlich teurer geworden.

Tja, nun sind wir also in gewissem Sinn wieder am Anfang und die Unwissenheit über den richtigen Weg in dieser Sache steht weiterhin im Raum.

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