Auf Wiedersehen in der Ewigkeit

Der Tsunami brach schon Anfang der Woche los, als meine Tante mit klaren Worten zu verstehen gab, dass mein Vater auf der Beerdigung nicht erwünscht sei. Basiert war ihre Aussage auf den seit Montag geltenden Neuregelungen. Ja, Corona lässt mal wieder grüßen. Und weil davon zur Zeit einfach zu viel im Umlauf ist, sind Beerdigungen nun auf 30 Personen begrenzt, Kinder inbegriffen. 30 Personen sind bei unserer Verwandtschaftsgröße echt happig.

Da fängt nun also das große Zählen an. Und es scheint vor allem das zu zählen, was an Bekümmerung in den letzten Jahren nachzuweisen ist. Ach, ich weiß nicht, was ich hier nun schreiben kann und was nicht. Weil man ja schließlich auch nicht weiß, wer was liest und noch weniger, WIE es gelesen wird. Worte haben Macht. Und ganz gleich, was da dann auch stehen mag, es kommt nicht bei jedem Leser genau das an, was ich tatsächlich ausdrücken möchte. Mal mag es an der Wortwahl liegen, mal am Interpretationsspielraum.

Aber es ist mein Blog, es sind meine Gedanken, meine Gefühle und mein Erleben. Und schließlich wird keiner zum Lesen gezwungen 🙂

Vermutlich kam es meiner Tante entgegen, dass wir (meine Geschwister und ich) keinen großen Familienaufmarsch für diese Veranstaltung geplant hatten. Irgendwie steckt in mir doch auch die Prägung meiner Eltern, dass man kleine Kinder nicht zwangsläufig zu einer Beerdigung schleppt. Keine Ahnung, ob das falsch ist und ob man den Kindern dadurch eine wichtige Lebenserfahrung vorenthält. Ich weiß es nicht. Natürlich kommt es auch darauf an, in welchem Verhältnis die Kinder zur verstorbenen Person stehen und wie stark ihr persönlicher Bezug zu dieser gewesen ist.

Bei der Beerdigung meiner Mutter waren meine Kinder z.B. auch nicht auf dem Friedhof dabei. Das lag aber in erster Linie daran, dass sie erst am Abend davor aus Afrika eingeflogen kamen und die ganze Sache mit dem Tod der Oma nicht so wirklich greifbar für sie war. Sie hatten ihre Oma zuletzt im Juni gesehen, als sie uns auf Sansibar zu Besuch war.

Aber für wen ist der Tod wirklich greifbar, wenn man mal ehrlich darüber nachdenkt? Habe ich es an diesem Tag BEgriffen? Ich kam mir eher wie in einem Film vor, und nicht, als würde ich nun mit allen Sinnen und voller Aufmerksamkeit am Ort des Geschehens sein. Außerdem wusste ich, dass ich mich in dieser sehr speziellen Stunde nicht auch noch um meine Kinder kümmern kann. Das hätte nur noch mehr dazu beigetragen, dass ich neben mir gestanden wäre und die eigentliche Sache gezielt ausblenden hätte müssen.

Ich denke, es gibt in dieser Frage kein richtig oder falsch. Ich kann nur sagen, dass ich für mich persönlich nicht das Gefühl habe, etwas verpasst zu haben, weil meine Eltern mich als kleines Kind von Beerdigungen bewusst fern gehalten haben. Es gab in meiner Kindheit zum Glück auch keine Beerdigung von Personen, die zu meinem regelmäßigen Alltagsumfeld gezählt haben. Dann wäre diese Entscheidung eventuell anders ausgefallen.

Nun war der Termin für den frühen Donnerstagnachmittag festgesetzt. Für mich gab es nicht viel zu organisieren, da unsere Familienseite nicht weiter eingebezogen wurde. Wir drei Schwestern haben uns lediglich um die Bestellung einer Grabschale bemüht: „In Liebe und Dankbarkeit – Gerhard mit Deinen Enkeln und Familien“.

Ich hätte sehr gerne gesungen, wenn einem dieses vertraute Ritual derzeit, wie so vieles andere, leider genommen wird. Für mich fühlt es sich einfach leer an, wenn Lieder lediglich instrumental gespielt werden; gerade dann, wenn es sich um vertraute Lieder handelt. Aber vielleicht ist das auch nur mein „Problem“, weil Singen für mich schon immer ein ganz zentrales Ausdrucksmittel darstellt und so viel mehr ist, als melodische, beschwingte Worte. Ich bin zwar keineswegs vertraut mit Soloauftritten. Aber das wäre mir relativ egal gewesen.

Vermutlich hätte ich mich damit direkt an Frau Pfarrer wenden sollen. Denn von meiner Tante kam als Rückmeldung auf meine Anfrage lediglich der Hinweis, dass sie nicht wisse, wann welche Lieder gespielt werden und es gut möglich sei, dass „Von guten Mächten…“ erst am Grab kommen würde. Da ist das mit dem Singen dann ja nicht so angebracht. Es war das erste Lied, das kam. Und es folgte wenig später noch ein weiteres, wohl Vertrautes. Somit hätte ich tatsächlich zwei der vier Lieder mit Gesang begleiten können. Ich weiß, dass meine Oma sich gefreut hätte.

So, nun aber genug von hätte, könnte und sollte…

Der Donnerstag kam. Ich habe hier Zuhause alles soweit vorbereitet, dass meine Familie ohne viel Eigenaufwand ein leckeres Mittagessen genießen konnten. Mit meiner Schwester ging es dann kurz nach 12 Uhr zur Gärtnerei, wo wir eine wunderschöne Schale einladen konnten. Auch auf dem Friedhof ließ sich der Grabschmuck gut in die Aussegnungshalle bringen. Wir waren relativ früh da, aber es war dennoch schon sehr viel los.

Wir hatten am späten Mittwochnachmittag nebenbei noch erfahren, dass sich unsere Großcousine erfolgreich bei der Stadt um eine Ausnahmegenehmigung hinsichtlich dieser 30 Personen-Auflage bemüht hatte. Und so waren tatsächlich auch deutlich mehr Leute anwesend. Allein von meiner Tante waren alle Kinder, inklusive fast alle Partner und den dazugehörigen Kindern gekommen, was schon knapp 20 Personen umfasste. Des Weiteren kamen etliche Nichten und Neffen meiner Oma, sowie einige enge Vertraute der letzten Jahre. Ja, wir sind eben tatsächlich eine Großfamilie.

Die Trauerfeier verlief unspektakulär. Viele Worte waren berührend, auch wenn ich persönlich nicht alles zutreffend fand. An sowas zeigt sich, dass jeder Mensch eine andere Wahrnehmung und auch andere Erinnerungen hat. Leider gab es zwischendurch auch eigenartige Momente, die sich für meine Geschwister und mich seltsam angefühlt haben.

Die Pfarrerin hatte in ihrer Ansprach eine Gedicht eingebaut, welches ich hier gerne festhalten möchte, weil es mich wirklich berührt hat.

Am Grab

Habe ich je gesagt, dass sie ein Segen war für mein Leben?

Habe ich ihr genug gedankt für die Spur, die sie zeichnete in die karge Landschaft meiner Kindheit?

Immer war ich willkommen in dem Haus, dem sie die Seele gab.

Ihr größtes Vermächtnis aber, das sie mir ließ, ist die stille Würde mit der sie ihre Lasten trug.

Nicht dass sie stark gewesen wäre von Natur aus,

sie war eine Liebende.

Daraus erwuchs ihr alle Stärke.

Ich danke dir (Gott), dass sie bei uns war.

von Sabine Naegeli

Des Weiteren folgte der übliche Verlauf: der gemeinsame Weg zum Grab, die letzten Worte, das Abschied nehmen am offenen Grab, welches von Posaunenklängen untermalt wurde, und vereinzelte Beileidsbekundungen (was ja eigentlich auch untersagt ist im Moment).

Es war kühl und windig, aber immerhin blieb es trocken. Meine Schwester hat noch spontan ihre Flaggen aus dem Auto geholt und ein wenig auf einer Wiese in der Nähe des Grabes getanzt, was sicher für viele ungewöhnlich war. Sie konnte auf diesem Weg zumindest einem Teil ihrer Gefühle Ausdruck verleihen.

Jeder der wollte, konnte sich noch eine mürbe Brezel nehmen, die einzeln verpackt in Tüten zur Mitnahme bereitstanden. Und es wurde natürlich noch ein wenig Austausch gehalten – möglichst mit entsprechendem Abstand. Und dann ging es auch für uns wieder nach Hause. Meine Schwester kam noch mit, da sie über Nacht bleiben wollte. Wir hatten uns so lange nicht mehr gesehen, da kam uns diese geschenkte Zeit sehr willkommen.

Zwei Tage später haben ich gemeinsam mit meinen Kindern einen kleinen Ausflug nach Rutesheim unternommen. Das Wetter zeigte sich wechselhaft, wie so oft in diesen Tagen, und passte somit ziemlich gut zu meiner inneren Verfassung.

Wir schlenderten mit unseren Regenschirmen bewaffnet über den einsamen Friedhof zum blumenübersäten Grab. Romy wäre gerne zur Beerdigung gekommen. Aber in der Kürze der Zeit war es schwer möglich gewesen, sie noch rechtzeitig vom Unterricht befreien zu lassen. Sie war neben den zwei kleinen Jungs diejenige von meinen Kindern, die immer mal wieder bei Besuchen im Altenheim dabei war; wie auch bei unserem allerletzten Besuch.

Warum Josia kurz vor Ankunft am Grab seine Maske aufgezogen hat, war für uns alle nicht ersichtlich. Ob er verstanden hat, dass die „Moa“ – wie er meine Oma immer genannt hat -, nun nicht mehr bei uns ist?

Wie weit habe ich es verstanden?

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