Gedanken zum Gedenken… nachdenken… und weiterdenken

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Viele Dinge im Leben lehrt uns letztlich doch nur das Leben selbst. Auch wenn man heutzutage zu fast allem Bücher findet oder Seminare besuchen kann, ändert das nichts an der Tatsache, dass in der  Theorie fast alles so viel einfacher ist, als wenn man sich diesem „Problem“  in der Realität stellen muss. Der Alltag mit Kleinkindern ist dafür ein sehr gutes Beispiel. So lange man noch keine eigenen Kinder hat, erscheint einem das Projekt Familie  als „Kinderspiel“ und man meint zu wissen, wie man die Figuren stellen und bewegen muss, damit es reibungslos funktioniert und alles zu einem guten Ende kommt. Und noch genauer weiß man,  was man alles anders machen wird wie all die anderen um einen herum. Ob´s am Ende dann tatsächlich so kommt…?  Tja, früher oder später holt uns die harte Realität ein und man erfährt am eigenen Leib, dass es deutlich komplexer ist, als man anfangs dachte. Wer von uns übt den schon freiwillig vorab, wie sich die Tage meistern lassen, wenn man nachts kaum noch zum Schlafen kommt? Die Argumentationsfähigkeit einer Vierjährigen ist selten in einem Lehrbuch abgedruckt –  und wenn sich doch was finden lässt, dann hält sich das Kind nicht an die Vorlage und folglich ist es im Ernstfall keine Hilfe. Ebenso mag der Ideenreichtum mancher Kinder einen gestandenen Künstler vor Neid erblassen lassen. Genau das und so viel mehr macht das Familienleben so unverwechselbar schön, herausfordernd und besonders. Keinem Autor mag es wohl jemals gelingen, diesen kurzen Moment direkt nach der Geburt so treffend in Worte zu verpacken, das dadurch beim Leser das Gefühl ausgelöst werden könnte, welches die Eltern in diesem einmaligen Augenblick der ersten Begegnung überkommt. Denn genau das lehrt uns auch nur das Leben selbst!

Leider gilt dieses Prinzip ebenso  für die schweren Dinge, die das Leben phasenweise mit sich bringt. Über den Tod kann man viel lesen und hören, aber wenn es einen unmittelbar trifft, fühlt man sich trotz allem Wissen nicht wirklich darauf vorbereitet und überwiegend hilflos. Es ist eine Sache, über den Verlauf der Trauer Bescheid zu wissen und sich mit den Trauerphasen kognitiv auseinander gesetzt zu haben, und eine ganz andere, wenn es mich plötzlich auch emotional betrifft.

Wo soll ich anfangen mit der sogenannten Trauerarbeit? Wie sieht mein Weg des Abschied Nehmens aus? Und wann habe ich überhaupt Zeit dazu, mich mit der neuen Situation auseinander zu setzen? Ich bin so weit weg von der Heimat und in unserem Alltag hatte meine Mutter keine feste Rolle. Die Telefonate mit ihr fallen weg und die emails, Briefe und Postkarten, die wir ihr in regelmäßigen Abständen geschickt haben. Aber das sind alles Dinge, die nicht täglich ins Gewicht fallen. Und folglich scheint das Leben hier normal weiter zu gehen.

Ganz anders geht es da meinem Vater und meinen Geschwistern zu Hause, die ganz unmittelbar und jeden Tag mit der veränderten Situation konfrontiert werden. Denn dort bleibt der Platz am Esstisch und auf der Couch leer, dort fehlt ihre Gegenwart wenn man in der Küche steht und Mittagessen kocht, dort wartet man vergeblich darauf, dass sie vom Einkaufen oder Arzttermin nach Hause kommt, dort findet man keine Kleidungsstücke mehr von ihr in der wöchentlichen Wäsche. Die Kreuzworträtsel in der Sonntagszeitung bleiben unausgefüllt, es stapeln sich keine neuen Bücher auf ihrem Nachttisch, die ihr die schlaflosen Nächte verkürzen helfen und gewisse Schokoladensorten (die nur sie gegessen hat) sucht man nun  vergebens im Kühlschrank.

Sie sind unausweichlich von Dingen umgeben, die an meine Mutter erinnern… Ja, dort ist die Lücke schmerzlich greifbar, die sie hinterlassen hat, hier bei uns nicht. Dort muss Stück für Stück der Weg für ein neues Miteinander im gemeinsamen Haushalt gesucht und begangen werden, es müssen Rollen neu definiert und verteilen werden. Hier bei uns nicht. Aber das darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass ihr Tod auch in unserem Leben eine Lücke hinterlassen hat. Diese Lücke ist da, eben nur auf eine andere Art und  Weise und im ersten Moment vermutlich nicht so leicht zu erfassen.

Ich hab meine Mutter verloren, die Person, die mich zur Welt gebracht und aufgezogen hat, die über viele Jahre hinweg Hauptbezugspunkt in meinem Leben war und die unser Zuhause zu dem Ort gemacht hat, der er heute ist. Es ist schwer, sich dieses Heim ohne sie in der Mitte vorzustellen, da sie immer da war! Wir sehnen uns alle nach zuverlässigen Konstanten in unserem Leben, die uns Halt und Orientierung geben. Eine dieser Konstanten ist jetzt nicht mehr da und es übersteigt oftmals meine Vorstellungskraft, was das konkret für mich und mein Leben bedeutet. Bisher ist es die meiste Zeit einfach unbegreiflich für mich, dass sie nie wieder da sein wird, wenn wir nach Hause kommen, dass wir hier auf Erden nie wieder ihre Stimme hören werden (außer eben auf alten Videoaufnahmen) und das ich sie nichts mehr fragen kann. Kann man sowas irgendwann wirklich begreifen? Oder wird man sich einfach nur daran gewöhnen und dann ist es eben so? Die Zeit wird zeigen, wie es für mich / für uns alle sein wird. Aber ich will es nicht einfach nur auf mich zukommen lassen. Mir ist es wichtig, dass ich trotz dem Alltagstrubel Zeit finde zur Reflexion, wo ich über meine Mutter nachdenken kann, darüber, wie sie war, wie ich sie erlebt habe, über Erlebnisse mit ihr und über Prägungen, die sie bewusst und unbewusst an mich weitergegeben hat. Denn sie hat jedem von uns ein Vermächtnis hinterlassen – es liegt an uns, was wir daraus machen!

Heute wäre meine Mutter 56 geworden. Ihr Geburtstag ist einer der wesentlichen Meilensteine im ersten Trauerjahr, den es zu bewältigen gilt.  Der heutige Tag würde ganz anders verlaufen, wenn sie noch bei uns sein könnte. Auch wenn wir sowieso nicht zur Feier hätten kommen können, so fühlt es sich heute und hier für mich dennoch leer und schmerzhaft an, da der Verlust auf besondere Weise präsent ist.

Ein paar weitere Meilensteine liegen bereits hinter uns, wie z.B. die Beerdigung, das erste Weihnachtsfest und der erste Jahreswechsel. Aber da diese ganzen Ereignisse alle sehr dicht beisammen lagen und wir es zusammen mit meiner Familie in Deutschland erleben durften, war trotz allem Schweren doch auch viel Freude und Trost für uns alle gegenwärtig – wir hatten uns gegenseitig und wir hatten  die Kinder um uns (was stets genügend Grund zur Freude gibt!).

Ich fühle mich bei allem noch sehr am Anfang dieser besonderen „Reise“ durch die Trauer. Ich hab einfach absolut keine Vorstellung davon, wie diese Reise im Gesamten aussehen wird und wie genau ich sie tatsächlich bewältigen soll – und das, obwohl ich mich irgendwie schon mitten drin befinde…

Und damit der Anfang nicht falsch verstanden wird: Ich bin froh und dankbar, dass es Bücher, Seminare und vor allem auch den persönlichen Austausch mit „Mitstreitern“ gibt. Ich selbst habe dadurch schon viel gelernt und mein begrenzter Horizont wurde des Öfteren wohltuend erweitert. All das möchte ich auf keinen Fall missen! Genau wie die Momente, in denen mir ein Freund oder ein gutes Buch dabei helfen, meine Sprachlosigkeit zu überwinden, indem er/es genau das zum Ausdruck bringt, was ich selbst empfinden und durchlebe, wofür mir aber die Worte fehlen. In diesem Sinne noch ein kurzer Ausschnitt aus einem Buch, das ich zwar schon vor vielen Jahren gelesen habe und der mir heute während meiner Stillen Zeit wieder erneut begegnet ist:

„Es geschieht oft, dass diejenigen, die gerade den schwersten Verlust zu ertragen haben, auch die tiefste Gnade und den größten Segen erfahren. Das heißt natürlich nicht, dass sie niemals weinen. Aber sie zerbrechen nicht an der Not. Andere, die nur dabeistehen und beten und sich in die Lage des Trauernden zu versetzen versuchen, empfinden die Qual als unerträglich. Sie können manchmal viel schwerer an sich halten, weil sie zwar die Trauer, nicht aber die Gnade nachempfinden können.“ Genau das durfte ich an der Beerdigung meiner Mutter erleben! Im Vorfeld habe ich mich gefragt, wie ich diese paar Stunden auf dem Friedhof nur überstehen soll… und dann war es bei allem Schweren doch so ganz anders, wie erwartet: gesegnet und getragen! Wie gut und treu ist unser himmlischer Vater!

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