Zu Ende

Wie fängt man an über etwas zu schreiben, wofür einem eigentlich die Worte fehlen, wo Schweigen möglicherweise mehr sagt, als Worte, wo weder Verstand noch Herz wirklich erfassen, was passiert ist?

Vielleicht kennst du sie auch, diese Momente, die von keinem erwünscht sind, die ohne Einladung und manchmal sogar ganz ohne Vorankündigung in dein Leben brechen und dieses mit einem schmerzhaft tiefen Schnitt in ein DAVOR und DANACH zerteilen.

Und selbst wenn eine Vorahnung da gewesen sein mag, kann das Eintreffen in seiner letztlichen Endgültigkeit nicht unmittelbar den Schleier heben, der mich hoffen lässt, dass es vielleicht doch nur ein Albtraum ist, dass die Möglichkeit besteht, mich verwirrt und aufgeschreckt im vertrauten Bett vorzufinden, um mit Erleichterung und Dank feststellen zu können: es war ja nur ein schlimmer Traum!

Der letzte Tag des Jahres war der letzte Tag im Leben zweier Menschen, die ich persönlich kaum bzw. gar nicht gekannt habe. Und dennoch schreibe ich hier darüber. Ich schreibe, um zu spüren, um meinen Gefühlen und Gedanken ein wenig Raum zu geben und weil es nicht erst seit dem Tod meiner Mutter ein Thema ist, das mich begleitet.

Ich schreibe, um mich gegen die Sprachlosigkeit aufzulehnen, auch wenn ich zugleich weiß, dass hier keine Sprache der Welt je ausreichend sein wird. Ich werde das Leben in seinem unendlichen Spektrum an Farben niemals erfassen können.. niemals. Weder mit meinen Sinnen, noch mit meinem Verstand, noch mit meinem ganzen Sein. Denn wie sollte man auch etwas bis in die Tiefe hinein verstehen und begreifen können, wovon man selbst ein Teil ist und einem dadurch der Blick von außen auf das Gesamte fehlt?!

Ich schreibe gegen das Vergessen und um das hoch zu halten, was wertvoll und unersetzlich ist. Ich schreibe für die LIEBE. Ohne diese hätte die Trauer längst ihre Daseinsberechtigung an den Nagel gehängt und würde irgendwo einsam und unbeachtet in der Ecke sitzen.

Wo die Liebe Zuhause ist, da nimmt der Schmerz Wohnung, wenn die geliebte Person aus dem Leben gerissen wird. Dabei ist es ist nebensächlich, wie jung oder alt dieser Mensch war oder wie lange wir gemeinsam unterwegs waren.

Trauer ist ein Gesicht der Liebe.

Tauer ist all die Liebe, die ich eigentlich noch schenken wollte, aber jetzt nicht mehr kann. Und diese übriggebliebene Liebe sammelt sich in Tränen, die kommen und gehen, ganz ohne Regel und oft ohne ersichtlichen Grund. Sie sitzt als unüberwindlicher Kloß im Hals fest, legt sich wie ein massives Eisenhemd auf die Brust und vermag zugleich, so eine unsagbar große und nicht greifbare Leere in dir zu erschaffen, die dich wie ein schwarzes Loch verschluckt.

Trauer ist Liebe, die nirgendwo hin kann.

Die Zeit läuft weiter, nicht nur sichtbar auf der Uhr an der Wand, sondern ganz praktisch im Leben um uns herum, dass an so vielen Stellen noch genau so ist, wie am Tag zuvor.

Und doch ist alles anders geworden. Einfach ALLES!

Aufstehen, anziehen, essen, Zähne putzen, aufräumen, einkaufen, kochen, Wäsche aufhängen, vorlesen, Gassi gehen, telefonieren,… Es sind diese tausend Kleinigkeiten, die den Alltag von jedem von uns bestimmen. Gleichförmig, routiniert, wiederkehrend und in vielem eintönig, automatisiert und damit zutiefst vertraut, genau wie unser Gesicht im Spiegel, unser Zuhause und das eingelaufene Paar Schuhe vor der Tür.

In einen Moment sind diese unzähligen, bunten Bausteine des Lebens eine wohltuende Stütze. Sie gewährend durch ihre simple Zuverlässigkeit und Vertrautheit Halt und geben Orientierung, um nicht im Bodenlosen zu versinken. Aber schon einen Wimperschlag später erscheint es absolut unmöglich, auch nur einen einzigen dieser simplen Handgriffe auszuführen. Schon der der bloße Gedanke daran ist eine pure Überforderung und raubt die Luft zum Atmen.

Die Decke über den Kopf ziehen und nie wieder aufstehen?! Alles um sich herum ausblenden, vergessen und im dunklen Ozean der inneren Leere ertrinken? Wozu denn noch aufstehen?

Das hier ist nicht meiner Trauer. Und doch spüre ich in diesen Momenten, in der Begegnung mit Trauernden, im Anteil haben an ihrer persönlichen Geschichte, an ihrem Schmerz und ihren Fragen zugleich auch meine Geschichte. Es ist eine vertraute Umarmung.

Die Zerbrechlichkeit des Lebens, die Endlichkeit unserer Diesseitigkeit und die Begrenztheit unseres Einflusses erheben sich vor mir wie ein großes Mahnmal. Wer bin ich kleiner Mensch und was habe ich denn wirklich in meiner Hand?

Ich halte inne, richte meinen Blick nach oben und bin dankbar, dass ich um den einen wissen darf, der auch jetzt und hier bei mir ist und der immer da sein wird, weil er genau das an so vielen Stellen zugesagt hat. Er, der mich sieht!

EL ROI – Du bist der Gott, der mich sieht

Ein Kommentar

  1. Was für ein tiefer Text! Danke Doro, dass du versuchst in Worte zu fassen was man eigentlich gar nicht recht ausdrücken kann. „Trauer ist Liebe, die irgendwohin kann“…. Du hast eine Gabe meinen Gefühlen Worte zu geben. Danke

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