Take off

Flughafen und Abschied ist für uns seit Jahrzehnten vertrautes Terrain. Während unserer Zeit auf Sansibar waren wir phasenweise fast jeden Monat am Flughafen, um Menschen willkommen zu heißen, zu verabschieden oder selbst zu reisen; deshalb wird bei uns schon lange nicht mehr gezählt.

Aber am Dienstag war es keiner dieser gewöhnlichen Trips nach Frankfurt, denn diesmal mussten wir einem unserer Kinder „Auf Wiedersehen“ sagen, und das nicht nur für ein paar Wochen!

Für Annelie beginnt nun das Abenteuer eines Schuljahres im Ausland, und wir freunden uns langsam zwangsläufig mit der Stück für Stück kleiner werdenden Familie an. Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Zeit mit allen Kindern daheim nun wirklich der Vergangenheit angehört!

Annelie ist zwar nicht die Erste unter ihren Geschwistern, die das traute Nest verlässt, denn Nasya hat das letzte dreiviertel Jahr überwiegend nicht bei uns gelebt. Aber sie ist die Erste, die in so jungen Jahren für eine so lange Zeit so richtig weit weg geht! Und das fühlt sich für mich durchaus eigenartig an. Naja, vermutlich muss ich mich an diesen Zustand gewöhnen, denn in wenigen Wochen wird auch Nasya wieder ihre Koffer packen und nach Österreich ziehen.

Seit über einem Jahr beschäftigt uns dieses Auslandsjahr auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Es gab etliche Onlinemeetings, Interviews, Vorbereitungsseminare und ziemlich lange to-do-Listen für Annelie und uns Eltern. Der Ordner mit den Unterlagen wuchs kontinuierlich an und mit jedem weiteren Haken auf der Liste verstärkte sich auch die Gewissheit, dass der Tag des Abschieds unaufhaltsam näher kommt.

Nebenbei mussten die letzten Impfungen zeitlich untergebracht werden, die teils nicht spurlos an Annelie vorübergezogen sind. Für uns Eltern stand wegen der Visa-Angelegenheiten noch einen Ausflug nach Lahr zum Honorarkonsul von Costa Rica an.

Der Juli zog ein und brachte im Gepäck ein paar zwanglose Abschiedsfeste mit sich. Mit ihren Freunden feierte Annelie in unserem Garten eine kleine Party inklusive Übernachtung in Zelten. Leider war es relativ kühl, aber die Jugendlichen hatten dennoch eine schöne Zeit zusammen.

An einem Sonntag mitten im Juli wurde Annelie gemeinsam mit drei weiteren jungen Mädels in unserem Gottesdienst verabschiedet. Ein Teil unserer Verwandtschaft war dabei und wir erlebten im Anschluss noch einen schönen Nachmittag mit Grillen und Baden bei uns daheim. So hatte Annelie die Möglichkeit, einigen Tanten, Onkels, Nichten und Neffen Tschüss zu sagen.

Abschied von Joel am 17. Juli – für ihn ging es an diesem Tag zum Schüleraustausch nach SA

Der Terminkalender unserer Tochter wurde bis aufs Maximum strapaziert, da sie fast jede freie Minute wohlbedacht verplant hatte. Neben einigen Abschiedsfesten von Freunden, die ebenfalls ins Ausland gehen werden, gab es noch Geburtstage zu feiern, Einkaufstouren zu absolvieren und letzte Treffen mit Freunden, Verwandten und Familienmitgliedern unterzubringen. Zwischendurch hat sie fleißig ausgemistet und ihr Zimmer in Kartons und Kisten verpackt.

Wir Eltern haben Annelie wenige Tage vor ihrem Abflug in ein Restaurant ihrer Wahl ausgeführt. Der laue Sommerabend brachte neben leckerem Essen noch ein kleines Abenteuer mit sich, denn der Weg zurück in die Tiefgarage, wo wir unser Auto abgestellt hatten, war alles andere als leicht zu finden. Immerhin waren wir nicht die einzigen, die fassungslos vor dem verschlossenen Einfahrtstor standen.

Annelie hat ihre letzte Nacht überwiegend mit Packen und dem Verfassen von kleinen Abschiedsgrüßen verbracht. Plötzlich waren die 23kg Festgepäck deutlich überschritten und wir ein wenig ratlos, denn ihr Handgepäck war bereits absolut ausgereizt. Nochmal umpacken und vor allem etliche Bücher zurücklassen, oder in Jacken- und Hosentaschen mitschleppen? Am frühen Morgen konnten wir uns glücklicherweise mit einem Mädchen aus ihrer Gruppe kurzschließen, die am Tag zuvor mit dem gleichen Problem konfrontiert wurde, und kurzerhand noch ein Gepäckstück zusätzlich gebucht hatte. Da sie nur knapp die Hälfte davon benötigte, kauften wir uns für den Rest bei ihr ein und zogen bepackt mit zwei zusätzlichen Stofftaschen los.

Zum Frühstück am Morgen gab es Brötchen und Speck. Geruhsam war es allerdings nicht, da alle paar Minuten jemand vor der Türe stand und sich von Annelie verabschieden wollte. Wenig später lagen sich die Schwestern im Arm und dann mussten wir uns auf den Weg machen.

Das Wetter zeigte sich als passender Spiegel für unsere Seelen, denn auf der Fahrt zum Flughafen gab es wirklich viele Regenschauer, teils sogar richtig starke Wolkenbrüche und nur wenige Momente, wo es trocken war beziehungsweise auch mal die Sonne für einen kurzen Augenblick durchbrach. Und wir weinten leise mit…

Dazu noch Baustellen und etwas Stau, einen Teil davon konnten wir umfahren. Am Flughafen war ebenfalls viel los, so dass wir vor dem Parkhaus erneut etwas Stau in Kauf nehmen mussten. Immerhin haben wir unseren Gepäck-Buddy schnell gefunden und die mitgebrachten Taschen haben den freien Platz im Zweitkoffer perfekt ausgefüllt.

Dann waren die Koffer erfolgreich aufgegeben und der endgültige Abschied stand unausweichlich bevor, denn bis zum Sicherheitscheck konnten wir Annelie nicht mehr begleiten. Die Tränen flossen auf beiden Seiten und die Gefühle in mir drin waren wirr und schwer greifbar. Nur nicht zu viel darüber nachdenken… Nach diesem Prinzip hatte ich die vergangenen Wochen schon gemeistert – und Annelie meiner Einschätzung nach auch. Sie war so busy, dass kaum Gelegenheit zum Nachdenken aufkommen konnte.

Für mich ging dieser Tag noch emotional weiter, denn ich ließ mich von Ha-Di in Sechselberg absetzten, wo ich die kommenden Stunden im Kreis meiner Großverwandtschaft verbrachte. Den offiziellen Teil der Beerdigung des Onkels meiner Mutter habe ich leider verpasst, aber die anschließende Trauerfeier durfte ich in vollem Umfang miterleben. Es war bewegend und sehr wertvoll, nicht nur wegen dem Wiedersehen wohl vertrauter Menschen. Ich habe sehr prägende Zeiten in meiner Kindheit und Jugend mit dieser Familie verbracht, und deshalb war es mir auch ein großes Anliegen, an diesem Tag persönlich dabei zu sein.

Nun überquert Annelie hoch über den Wolken den riesigen Atlantik. Bald wird sie in eine völlig unbekannte Welt eintauchen und von einer Sprache umwoben sein, die sie bislang nur in Ansätzen versteht und noch weniger spricht. Sie wird bei einer fünfköpfigen Familie ihr neues Zuhause finden, die wir nur kurz über einen Onlineanruf gesehen haben. Sie wird wieder Schuluniform tragen und dennoch aufgrund ihrer Haut-, Augen- und Haarfarbe aus der Masse stechen. Und sie wird uns allen hier sehr, sehr fehlen!

Mein Herz schmerzt jetzt schon…

Ein Kommentar

  1. Danke für das Teilen, liebe Doro. ich konnte so sehr nachempfinden wie es dir/ euch geht. Es ist immer wieder ein Loslassen, begleiten aus der Ferne, helfen im Gebet usw. Ihr gebt euren Kindern Flügeln und sie werden es meistern, weil ihr zuvor die Wurzeln gut versorgt habt. Da ist Stabilität und Sicherheit auch wenn die Unsicherheit der neuen Erfahrung manche Erschütterung bringt. Wir sind so dankbar für euch!

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