perspektivlos

Als ob die Sorge und der Stress um Josia und seine Gesundheit, das Getrennt sein von Mann und Kind und das Haushalten hier daheim allein noch nicht genug wären, fegt heute ein weiterer Sturm über mich hinweg. Oder sagen wir besser, er fegt in mir, und das gewaltig.

Ich zähle nicht zu den Leuten, die oft und schnell weinen – aber heute sind schon einige Tränen geflossen. Ich fühle mich wie ein Stück nasse, schwere Wäsche, die ausgewrungen wird und zugleich ist es unendlich leer und schwach in mir drin. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, um irgendwie sowas wir Ordnung in meine Gedanken und Gefühle zu bekommen. Ich weiß auch nicht, in welche Richtung ich denken soll. Ich spüre einfach, dass es ZU VIEL ist…

Heute früh habe ich kurz mit Ha-Di kommuniziert und von seiner Seite kam recht deutlich, dass er körperlich am Anschlag ist und wir einen Tausch ins Auge fassen sollten. So eine Staffelübergabe ist allerdings nicht leicht, wenn die Distanz so groß ist, dass man auf Flugzeuge angewiesen ist. Aber mir war klar, dass wir an diesen Punkt kommen werden, wenn sich der Krankenhausaufenthalt noch weiter in die Länge zieht.

Also haben wir nach Flügen geschaut und uns über sonstige organisatorische Fragen unterhalten, denn schließlich gibt es hier noch vier weitere Kinder, die wir nicht alleine lassen können. Unser Team steht voll hinter uns und hat Unterstützung zugesagt, wo und wie auch immer nötig. Aber mir ist auch klar, dass ich nicht über den Kopf der Kinder hinweg entscheiden möchte, von wem sie betreut werden sollen und in welcher Form, denn evt. müssen sie sogar über Nacht zu Freunden oder Teamkollegen.

Es ist ein echter Segen, dass wir nicht allein hier sind, so wie das ganz am Anfang der Fall war. Da gab es weder ein Team noch hatten wir befreundete Familien, denen wir unsere Kinder über Nacht anvertraut hätten. Diesbezüglich hat sich doch sehr viel in sehr positiver Weise verändert in den letzten achteinhalb Jahren 🙂

Ich hab mich innerlich also schon auf Packen und Reisen eingestellt, aber ein Teil von mir ist doch sehr zögerlich. Es ist ein seltsames Gefühl und ich kann es auch nicht so ganz fassen und beschreiben. Irgendwie ruft es Unbehagen in mir hervor, wenn ich daran denke, dass ich dann alleine in einem mir fremden Land und Krankenhaus sitze, dass meine Kommunikationswege eingeschränkt sind, dass ich alleine Entscheidungen für mein Kind treffen muss bzw. dass Absprachen eben manchmal schwer möglich sein werden und ich daraufhin alleine entscheiden muss. Denn ich kann nicht mal kurz zum Telefon greifen und anrufen. Es ist teuer und das Guthaben ist schnell aufgebraucht und ich bin in Hinblick auf diese ganzen technischen Dinge leider kein großer Spezialist. Selbst für meinen Mann war es am Anfang echt schwer mit der Kommunikation, bis er seine Wege gefunden hat und wir nun endlich regelmäßig und gut Austausch haben können. Gestern haben wir sogar zum ersten Mal alle gemeinsam geskypt – was sehr chaotisch und laut war, aber zugleich auch richtig cool. Aber Josia war total begeistert und wollte sofort selbst in den Computer steigen – einfach zu seinen Geschwistern.

Nun neigt sich ein weiterer Tag zu Ende. Für Josia war es ein guter Tag. Er ist fieberfrei und hat gut gegessen und getrunken – überwiegend Würstchen. Am Nachmittag wurde noch seine Lunge geröntgt, da sein Bedarf an Sauerstoff doch sehr hoch war – teils höher als in den Tagen davor. Bisher haben wir noch keine Rückmeldung dazu erhalten. Am Nachmittag hat Ha-Di dafür gesorgt, dass der Kleine sich viel bewegt und lacht, was dann oft auch zu Husten geführt hat, aber zugleich positive Auswirkung auf die Sauerstoffsättigung hatte. So konnte die Zufuhr deutlich reduziert werden. Wir sind sehr gespannt, wie es heute Nacht sein wird.

Die Kinder wollten heute Abend gar nicht ins Bett, da sie viel lieber vor dem Computer saßen und ihrem Bruder zugeschaut haben. Nasya meinte: „Das hier ist viel zu spannend. Das ist wie ein Film und wir sind auch dabei!“

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Heute hat uns leider auch die Nachricht erreicht, dass die Klassenlehrerin von Nasya nun doch nach Hause gehen wird. Sie war kurz vor den Osterferien in ihrem Haus überfallen worden, gemeinsam mit zwei weiteren Lehrerkollegen. Die eine Kollegin hat daraufhin direkt ihren Vertrag gekündigt, Nasyas Lehrerin wollte versuchen zu bleiben. In der vergangenen Woche war sie kaum an der Schule, da wegen dem Überfall eine Gerichtsverhandlung abgehalten wurde, die sich über viele Tage gezogen hat. Ich vermute, dass das einfach zu viel war… wäre es für mich zumindest mit Sicherheit gewesen.

Seit die Schule vor gut einer Woche wieder begonnen hat, hat sich der „Sturm“ zunehmend aufgebaut. Noch vor dem Ende der Osterferien kam per email die Nachricht, dass sowohl Joels als auch Annelies Klasse erneut einen Klassenlehrerwechsel haben wird. Nehmen wir die Nachricht von heute dazu müssen folglich drei unserer vier Schulkinder wieder mit einem Klassenlehrerwechsel klar kommen. Bisher ist nur in Joels Klasse der neue Lehrer aktiv. Annelies Lehrerin hat noch keine Arbeitserlaubnis und für Nasya muss erst noch eine oder einer gefunden werden. Und dabei ist von diesem Schuljahr gar nicht mehr so viel übrig, denn in gut zwei Monaten ist alles gelaufen :-0

Es tut mir so leid für meine Kinder, dass sie in diesem Jahr so viel Veränderung und Wechsel ertragen müssen. Wie sollen sie unter solchen Bedingungen gut lernen und in entsprechender Weise gefördert werden? Die Freude an der Schule und die Begeisterung für das Lernen hat bei ihnen zum Teil schon merklich nachgelassen; was ich durchaus verstehen kann. Und meine Frustration und Enttäuschung ist zu einem unguten Maß angewachsen. Ich möchte einfach nicht mehr dieser Ungewissheit ausgesetzt sein, dieser Willkür. Da passieren Dinge, die meine Kinder direkt betreffen und Einfluss auf ihr tägliches Leben, ihren gewohnten Alltag nehmen, und ich kann es nicht verhindern. Kaum haben sie Vertrauen zu einer neuen Person aufgebaut und die Beziehungen haben sich eingespielt, dann kommt der nächste Bruch. Außerdem ist es für uns ein großer Kostenfaktor, diese Schule überhaupt zu finanzieren…

Und somit wird die Frage immer drängender: Wie sieht die schulische Zukunft für unsere Kinder aus? Aber ich fühle mich gerade alles andere als in der Lage, darüber nachzudenken und eine Entscheidung zu treffen…

4 Kommentare

  1. …um den Mini tät ich mich auch sorgen – gute Besserung!! Hat er schon immer Lungenprobleme?
    Um die Schulgeschichte würd ich mir keine Sorgen machen. Kinder halten das aus – und lernen trotzdem. Oder holen es nach. Mitte der 60er hatten wir in Deutschland ein Kurzschuljahr, das ging nur von Ostern bis Sommer, wegen der Umstellung des Schulanfangs auf Herbst. Ich weiß es nur mehr schemenhaft und fands anscheinend nicht stressig (Volksschule). Da meine Eltern sich um unsere Schule(n) nie wirklich groß gekümmert haben, haben meine Geschwister und ich diverse Lehrerwechsel und dabei ein paar schräge Gestalten erlebt. Zu Hause hieß es dazu „Das ist das Leben, im Krieg war der Lehrer manchmal von heut auf morgen weg“ – dem ließ sich schlecht was entgegensetzen 😉
    Aber siehe: aus unserem „chaotischen Jahrgang“ mit Gymnasiumsstart 1968 haben von 118 Schülern 115 erfolgreich das Abi gemacht. Nimms locker, machs den Kindern leichter. Ist nur ein Teil ihres Lebens.

  2. Ich trau mich gar nicht so recht zu kommentieren, weil ich das Gefühl habe, dass du vor allem für deine Freunde schreibst. Doch ich habe nun mal dein Blog gefunden und möchte dir einfach sagen, dass ich so gut verstehen kann, dass die Situation erdrückend komplex werden kann und dass ich euch wünsche, dass bald wieder auf allen Ebenen Alltag einkehren darf mit Erholungsmomenten und Entspannung.
    Ich schicke dir ein paar helle Frühlingsmorgensonnenstrahlen aus der Schweiz und einen Schwall frischen Sauerstoff für den kleinen Patienten mit dazu.
    Herzlich, Gabriela

  3. Ich lasse dir auch einen lieben Gruß und einen Drücker da. Es ist so viel, es ist so schwer gerade und ich kann gar nicht viel dazu schreiben. Ich stehe nicht in einer solch schweren Situation. Nachempfinden kann ich dir die Sorgen und Gedanken um die Schule sehr. Aber vielleicht ist es auch so, das wir Eltern uns viel mehr Gedanken machen als die Kinder? Höre gut zu, was die Kinder dir so sagen. Aber das tust du sicher so oder so.

    Für den kleinen Mann auch von hier gute Besserung ! Ich hoffe sehr, dass sich für dich ein Weg aufzeigt, wie du deinen Mann entlasten kannst und es dir damit aber gut geht.

    Viele an euch denkende Grüße aus dem Emsland
    Andrea

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