Fünf Jahre danach

Können es tatsächlich schon fünf Jahre sein? Fünf Jahre ohne meine Mutter?

Fünf Jahre sind eine lange Zeit, ganz besonders für unsere Kinder, die zum Teil keinerlei Erinnerung an ihre Oma haben. Aber zugleich fühlt es sich so an, als wäre es erst gestern gewesen, als ich mit klein Joel im Schlepptau alleine nach Deutschland geflogen bin und meine Mutter nach Monaten zum ersten Mal wieder gesehen habe. Sie war so schwach, so müde und sah wirklich krank aus. Und ich war noch gar nicht so wirklich da, als sie bereits endgültig ging, als sie in einer kalten Winternacht im Krankenhaus den Kampf gegen den Krebs verloren hat… ohne das wir wirklich „Lebewohl“ sagen und ganz bewusst Abschied voneinander nehmen konnten.

Auch in diesem Jahr überkam mich zu Beginn der Adventszeit dieser Schmerz. Ja, er ist immer noch da. Vermutlich nicht mehr ganz so scharf und verletzend wie zu Beginn, als alles noch frisch war. Aber dennoch deutlich zu spüren und auch heute noch schmerzhaft. Es können kleine Gegebenheiten sein, ein Lied, ein Bild, ein Stern, einfach irgend etwas, das aus welchem Grund auch immer ganz unvermittelt Erinnerungen an meine Mutter in mir weckt… und dann kommen die Tränen.

Ich glaube, es ist hauptsächlich Traurigkeit, die in solchen Momenten in mir durchbricht. Die Traurigkeit darüber, dass sie nicht mehr da ist und dass ich nicht mehr die Chance haben, meine Gedanken und Erlebnisse mit ihr zu teilen. Ich vermisse es, ihre Stimme zu hören, ihr Lachen, ihr Singen… Ich vermisse es, ihr Wesen zu erleben. Und ich glaube, diese Lücke wird einfach immer da sein, denn nichts und niemand kann sie füllen.

Vor einigen Monaten habe ich in einer Zeitschrift einen kurzen Artikel zum Thema Trauer gelesen. Folgender Abschnitt hat mich besonders berührt und klingt noch immer in mir nach:

„Ich habe Trauer öfter einmal definiert als das Verhalten, das wir an den Tag legen, wenn wir mit etwas fertig werden müssen, für das wir nicht geschaffen wurden. Unser Schöpfer hat uns einfach nicht ausgerüstet für die Erfahrung des Todes. Und trotzdem müssen wir mit diesem unvermeidlichen Ereignis fertig werden: dem Tod anderer – und irgendwann meinem eigenen.

Weil diese Erfahrung so unverständlich ist, kann sie Angst, Einsamkeit, Verlustgefühle, Ratlosigkeit und Desorientierung auslösen. Unterschiedlichste Gefühle erfüllen und lähmen uns.“*

Ich las diese Zeilen und spüre tiefe Vertrautheit, zugleich aber auch eine besondere Art von Trost. Es ist ein grundsätzliches Problem des Todes, das wir ihn nicht erfassen und jemals wirklich begreifen können. Auch wenn er ein fester Bestandteil im Kreislauf des Lebens ist und wir davor weder weglaufen noch die Augen verschließen sollten, so bleibt er in seiner Art letztlich unbegreiflich. Selbst wenn wir in unserem Leben immer wieder aufs Neue mit dem Gesicht des Todes konfrontiert werden, so wird es uns dennoch nie vertraut werden, denn jede Erfahrung ist auf ihre Art doch wieder neu und anders.

Ich finde es sehr befreiend, in dem Glauben zu leben, dass wir für die Erfahrung des Todes nicht geschaffen sind. Das erklärt für mich zumindest ein wenig, warum es so schwierig ist, mit dem Tod und seinen Auswirkungen klar zu kommen und das jeder Versuch, denn wir dahingehend unternehmen, letztlich doch nur ein kläglicher Versuch bleiben wird.

Wenn ich dieser Annahme Glauben schenke, öffnet sich zugleich eine Türe in die Ewigkeit für mich. Ich schenke der Hoffnung Raum, dass die erlebte Trennung nur auf Zeit sein wird. Wir sind für die Ewigkeit geschaffen und ich darf mich heute, hier und jetzt schon auf unser Wiedersehen freuen.

Und so verwandeln sich die Tränen des Schmerzes und der Trauer in warme Freudentränen.

Vor wenigen Monaten habe ich das Buch „Der Traum“** gelesen; ein echter Trost für jeden, der einen geliebten Menschen loslassen musste. Ich bin dankbar, dass es solche Bücher gibt. Und ganz gleich, wie es dann tatsächlich mal sein wird wenn wir uns wiedersehen – ich will einfach im tiefen Glauben daran festhalten, dass es unvergleichlich und unvorstellbar werden wird!

* aus: Gordon MacDonald: Richtig Trauern; Aufatmen 1/2014

** James Bryan Smith: Der Traum

 

weitere Links zu früheren Einträgen zum Todestag meiner Mutter:

Jahrestag

Du hast für immer einen Platz in meinem Herzen

Lebenskreise

2 Kommentare

  1. Trauer ist Liebe, die heimatlos geworden ist…Kann das so gut nachempfinden… Vielen Dank…liebe
    Grüße aus Wolfsburg

    1. Author

      Das ist ein toller Spruch! DANKE dafür

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